Bernadette Reichlin, Wald, Kulturredaktorin der Zürcher Landzeitung, hat in der Ausgabe vom 19. Januar 2010 dieses Buch besprochen. Mit ihrer Erlaubnis darf ich den Text für Sie hier übernehmen.


Barbara Vine, Das Geburtstagsgeschenk
Diogenes Verlag
379 Seiten Fr. 40.90


Wenn nur die Presse nicht wär
Ein smarter Tory-Politiker, eine heimliche Geliebte, unliebsame Zeugen – damit rührt Barbara Vine einen veritablen Krimi zusammen.


Bernadette Reichlin

Dumm gelaufen. Da überlegt sich ein Mann ein ganz besonderes Geburtstagsgeschenk für seine heimliche Geliebte – wo doch alle wissen, dass Männer keinbesonders gutes Händchen für witzige Geschenke haben. Und dann geht seinenÜberraschung sowas von schief, dass er Jahre später noch daran zu kauen hat. Vor allem, weil es Mitwisser gibt: seine Schwester samt bravem Mann, eine vom Leben nicht gerade verwöhnteFreundin der Geliebten und eine Unterschichtsfamilie, die sich ihr Wissen gernebezahlen lässt. Ja, und eine neue Geliebte,
schön, liebenswert und geradezu heldenhaft grossmütig.

Barbara Vine leuchtet in ihrem neusten Psychothriller die Hauptperson, den Unterhausabgeordneten Ivor Tesham, aus zwei Perspektiven aus: Da ist einmal sein Schwager Rob, loyal, integer und ziemlich farblos, der mit nur schlecht unterdrückten moralischen Bedenken die ganze trübe Geschichte erzählt. Und da ist die «Alibifrau» der verstorbenen Hebe, die wenigstens indirekt etwas vom Leben ihrer weit attraktiveren
Freundin haben möchte. Ja, diese Hebe: blond, verführerisch, Mutter eines kleinen Sohnes und Ehefrau eines langweiligen Beamten. Und verliebt in Ivor, mit dem sie bei Gelegenheit nicht nur das Bett teilt, sondern auch die Vorliebe für etwas bizarre Sexpraktiken.

Entführung, die keine ist

Da geschieht dann leider das Unglück, und das Geburtstagsgeschenk wird für Ivor zur lastenden Hypothek: Hebe soll von zwei ins Spiel eingeweihten Männern entführt und ihrem Liebhaber gefesselt und geknebelt übergeben werden. Auf der Fahrt verunglückt das Auto, und Hebe stirbt. Und niemand darf erfahren, dass die «Entführung» nur inszeniert, nur ein Vorwand für einen speziellen sexuellen Thrill war. Von einer toten Geliebten will sich der junge Politiker seine Karriere nicht zerstören lassen. Und die Polizei hat den Fall auch schnell «aufgeklärt» – bei ihrer Theorie kommt Ivor zum Glück gar nicht vor.
Wenn da nicht die Presse wäre! Diese Bluthunde, die auch nach Jahren noch neue Details ans Licht zerren, die Arbeit der Polizei immer wieder hinterfragen. Schwager Rob protokolliert gewissenhaft die diversen Stolpersteine auf der Karriereleiter des Tory-Abgeordneten. Und dieser zerbricht letztlich fast an seinem und dem von den Zeugen erkauften
Schweigen. Wenn da nicht die liebenswerte Juliet wäre, die alles weiss und alles verzeiht.

Barbara Vine ist das Pseudonym der Schriftstellerin Ruth Rendell, die bekannt
ist für ihre dichten, präzise aufgebauten Kriminalromane. Ihr Alter Ego nimmt sie scheinbar für die leichtere Kost zu Hilfe. Für «Das Geburtstagsgeschenk» zum Beispiel, das, mit viel Lokalkolorit angereichert und schlüssig aufgebaut, zum Schluss abflacht: nur noch Friede, Freude, Kinderlein. Da fehlt der letzte Knaller.


Barbara Vine (alias Ruth Rendell), geboren 1930, lebt in London.

 

Archiv
Juni 2002 Enrico Danieli
Juli 2002 Bernhard Gurtner
August 2002 Erhard Taverna
September 2002 Hansruedi Gehring
Oktober 2002 Bernhard Gurtner
Januar 2003 Hans-Jakob Schmid
Februar 2003 Alfred Bollinger
März 2003 Bernhard Hess
April 2003 Erhard Taverna
Mai 2003 Jürg Steiner
September 2003 Enrico Danieli

Dezember 2003 Christian Scholz
Januar 2004 Katharina Zaugg
Februar 2004 Werner Müller

März 2004 Enrico Danieli
April 2004 Kurt Jenny
Dezember 2005 Bärbel Schnegg
Februar 2006 Martin Müller
Oktober 2006 Michael Ritter, Wien
August 2007 Michael Ritter, Wien
Oktober 2007 Bernadette Reichlin, Wald
Januar 2008 Fritz Coester, Wimmis
März 2008 Rolf Wesbonk, Stäfa
April 2008 Kurt Knobel, Stäfa
Mai 2008 Lotti Klaiber, Bern
Juli 2008 Rolf Wesbonk, Stäfa
September 2008 Annette Frommherz, Bubikon
Januar 2009 Peter Schindler, Zürich
Juni 2009 Almut Meier-Weinand, Zürich
Juli 2009 Paul Ott, Bern
Dezember 2009 Peter Wehrli, Bern



OBEN