Der
Verlust gemeinsamer Werte hat in der postmodernen Gesellschaft einen
grossen Bedarf an sinnstiftenden Deutungen der persönlichen Existenz
und des Weltgeschehens ausgelöst. Diese Nachfrage bringt philosophische
Bücher auf die Bestsellerlisten, von denen viele nach wenigen Seiten
ungelesen bleiben, weil der akademische Fachjargon nicht verständlich
ist. Andere Titel versprechen Anworten und Lösungen, die im Text
zu banal dargestellt werden, um den Wissensdurst der Lesenden nachhaltig
zu stillen. Doch es gab (unter anderen) einen originellen Denker,
welcher konzentrierten Inhalt in lockerer Form zu vermitteln wusste:
Vor 100 Jahren wurde Günther Anders (Günther Stern) geboren, der
als ein bei Husserl und Heidegger geschulter Philosoph ganz bewusst
einen journalistisch gefärbten Stil pflegte, um tiefsinnige Erkenntnisse
über die akademischen Kreise hinaus zu verbreiten. Das hat ihm bei
Fachkollegen hämische Kritik eingebracht, doch gelangten so seine
aufwühlenden Thesen in die öffentliche Diskussion. Wie vorausschauend
Günther Anders die atomare Bedrohung, unsere Entmündigung durch
die Technik, den Umgang mit Gewalt und die manipulierte Darstellung
der Welt in den Medien schon 1956 analysiert hat, ist auch heute
noch sehr aktuell und faszinierend zu lesen. Wer es geniesst, messerscharf
logischen Gedankengängen zu folgen und wer sich durch paradoxe Behauptungen
oder Wortspiele animieren lässt, wird in diesem neu aufgelegten
Buch viele freudige Aha-Erkenntnisse gewinnen, obwohl der Grundton
des vor einer "Welt ohne Menschen" warnenden Kulturkritikers sehr
pessimistisch ist. Er will nach eigenem Geständnis durch Übertreibungen
zum Umdenken anregen. Neben- bei findet sich in dem Buch eine hochinteressante
Deutung von Becketts "Warten auf Godot", die vieles aufdeckt, was
man als Zuschauer vielleicht übersehen hat.
Archiv
Juni
2002 Enrico Danieli
Juli
2002 Bernhard Gurtner
August
2002 Erhard Taverna
September
2002 Hansruedi Gehring
OBEN
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