Zwei junge Schriftsteller, die in Zürich wohnen, schreiben über die Liebe:

 

Richard Weihe, Weg des Vergessens
180 Seiten Dörlemann Verlag Zürich
Fr.33.00


Richard Weihe, geboren 1961 in Bern, Schauspielakademie und Studium in Zürich, Promotion und Habilitation im Bereich Theater und Philosophie. Weihe ist Dozent, Übersetzer und moderiert die 'Sternstunde Philosophie' im Schweizer Fernsehen DRS

 

 

Daniel Goetsch, Ben Kader
253 Seiten Bilger Verlag Zürich
Fr. 35.--

Daniel Goetsch lebt in Zürich. 1997 wurde er nach Klagenfurt an den 1. Literaturkurs im Rahmen des Ingeborg - Bachmann - Preislesens eingeladen. Mehrere Erzählungen erschienen in Anthologien. Für «Aspartam» wurde er 1999 mit der Ehrengabe für Literatur des Kantons Zürich ausgezeichnet.

Buchbesprechung von Alexandra Kedves in der NZZ vom 8. September 2006:

Die Liebe der jungen Zürcher

«Ben Kader», «Weg des Vergessens»: Leid und Leidenschaft literarisch

Daniel Goetsch und Richard Weihe, zwei Zürcher Romanciers, die in den Sechzigern geboren wurden, legen dieser Tage ihre neuen Bücher vor. Hommagen ans liebende Herz.

Geboren wurden sie, ungefähr, in den Jahren, als aus der freien Liebe ein politischer Schlachtruf wurde: «Wer zweimal mit der Gleichen pennt, gehört schon zum Establishment.» Und dazu wollte man damals, Ende der Sechziger, auf keinen Fall gehören. Jetzt, rund vier Jahrzehnte später, ist das alles ganz anders. Die jungen Helden der zwei Autoren, die damals Kinder waren, haben vor allem eins im Sinn: zehnmal, hundertmal, tausendmal mit der Gleichen pennen. Die wahre Liebe eben. Und wenn das glückliche Paar sich, nach drei Jahren trauter Zweisamkeit, für drei Monate trennt - arbeitshalber, wohlgemerkt, und bloss eine Flugstunde entfernt -, bricht schier eine Welt zusammen. Alle Worte zerfallen im Mund, und nichts bleibt als die «verzweifelte Lust» der letzten gemeinsamen Nacht, «ein Ringen und Taumeln, ein letzter Versuch, sich dem anderen einzuprägen, Spuren zu hinterlassen . . .»

So beschreibt der 1968 in Zürich geborene Autor Daniel Goetsch in seinem neuen Roman «Ben Kader» den Beginn einer Art Bildungsreise: Sein Protagonist Dan Kader entdeckt sich selbst - und die verborgene Vergangenheit seines sterbenden Vaters Ben. Auch Jakob ist unterwegs: Die Hauptfigur im Romandébut von Richard Weihe rennt der Liebe allerdings nicht hinterher, sondern - vorderhand - vor ihr davon. Er ist, wie das Buch titelt, auf dem «Weg des Vergessens». Weihe, ein Wahlzürcher Jahrgang 1961, lässt seinen Helden Kuss um Kuss, Seufzer um Seufzer die Liebe seines Lebens Revue passieren, derweil er zwecks Läuterung nach Santiago de Compostela radelt. «Während Monaten war meine einzige Sorge gewesen, dass du mir entgleiten könntest. Ich entsinne mich kaum eines anderen Moments, in dem ich mich so erlöst fühlte wie bei deinem Anblick nach einem endlos scheinenden Winter, in dem wir uns nicht getroffen hatten», schreibt der Pilger ins Logbuch seiner Passion.

Wer je versucht hat, sich die Sehnsucht aus dem Herzen zu schreiben, weiss freilich, dass die Verführung des Schmerzes gerade in solchen Phantasien steckt und das Verlustgefühl gerade in solchen Reisen voller Reflexionen. Deshalb setzt Weihe, als sanft ironische Coda, nicht Jakobs Neustart in einem Leben ohne Marie, sondern ein Dacapo: die Erinnerung an den allerersten Augenblick zwischen den Liebenden. «Die langen, schmalen Wälle zwischen den Ackerfurchen, durch die Dürre jenes Sommers eingefallen und zerbröckelt, glühten wie Lava in der Abendsonne. (. . .) Als ich zum Haus hinüberblickte, war eine Gestalt am Fenster erschienen, die Arme entblösst, der Stoff ihres Kleides eigenartig erleuchtet, als ob er von selbst strahlte.» Eine poetische Epiphanie nicht ohne Petrarca-Kolorierung.

Richard Weihe, Übersetzer von Dramen und Lyrik und derzeit Fellow am Internationalen Forschungszentrum für Kulturwissenschaften in Wien, hat schon im Prosadébut «Meer der Tusche» sein Faible für die feinen Töne und sein Ohr fürs filigrane Fremde bewiesen. Anders als dort aber ist der Stil diesmal nicht von der Stille des Staunenden, Lernenden geprägt, sondern vom Pathos eines Liebeskranken auf postpubertären Pilgerpfaden. Diese Pfade sind bekanntlich teils hinreissend schwermütig und schön und so recht was zum Träumen. Teils aber verläuft man sich auf ihnen in jenen Weinerlichkeiten und Umstandskrämereien, die sich bereits in der eigenen Biografie peinlich ausnehmen. Da jedoch, wo sich der touristisch-landeskundliche Aspekt in den Vordergrund schiebt, radeln wir gern mit.

Goetschs «Ben Kader» baut gleichfalls ein Gefüge aus Liebesroman und Landeskunde, aus Reiseerinnerung und Exotismus. Allerdings wird dieser Mix bei Goetsch historisch verdoppelt: Dans Vater Ben gesteht erst vor seinem Tod seine zwielichtige Rolle bei den französischen Folterknechten in Algier 1957. Klar, dass er sich dabei selbst auch wieder in eine unmögliche affaire d'amour verstrickt. Wie sein Sohn erlebt er eine wilde Abschiedsnacht - in der Wüste. «Wir wurden fortgetrieben, verloren den Verstand, das Bewusstsein, den Körper, wir verschmolzen und verschwanden, wir lösten uns auf, waren nirgends mehr und überall, was auch immer es war, das ozeanische Gefühl, die mystische Union, die Vollendung der Liebe . . .» Die Gegenwelt der grossen Liebe ist für den Leser etwas ernüchternd. Umso interessierter besucht man mit Dan das Zürich von heute und mit Ben das Algier von damals. Denn dort sitzt es, das Zeug zur gewitzten Glosse, zum gescheiten Geschichtspanorama.

 

 




OBEN