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Heute hat sich Rolf Wesbonk für ein ganz anderes Buch begeistert
und er möchte Ihnen davon berichten:
Christiane
Ritter, Eine Frau erlebt die Polarnacht
Ullstein TB Nr. 37284
187 Seiten Fr. 15.70
Wo
der Himmel die Erde berührt
"Ich erwachte. Ich weiss nicht warum. Vielleicht von der
neuen, klaren Luft, die wie ein Lebenselixier ist. Durch die beiden offenen
Türen ins Freie sah ich von meiner Koje aus zum ersten Mal, seit
wir hier sind, ein in Sonne und Stille glitzerndes blaues Meer.
So ein Herrlichkeit! Wir leben auf einem unbeschreiblich schönen
Stück Erde...
Alle Farben sind von einer glühenden Tiefe, wie man sie bei uns nie
in der Landschaft, höchstens in auserlesenen Blumen, findet. In überirdischen
Klarheit liegt alles da in heiliger Stille."
So erlebt die Autorin Christiane Ritter den ersten Sonnentag in der Arktis.
Zuvor hatte sie sich wegen dem ständig vorherrschenden Nebel kein
Bild über ihre Umgebung machen können. Es ist dies ein rauhes
Gebiet, das für die nächsten zwölf Monate, viele hundert
Kilometer von der nächsten Siedlung entfernt, ihr Zuhause sein wird.
Doch die herrliche Farbenpracht hält nicht lange vor. Denn schon
bald setzt im eisigen Spitzbergen die Dämmerung und schliesslich
die endlose Nacht ein. Und diese Nacht dauert vier Monate, ehe im Süden,
dort wo die Sonne verschwunden ist, der glühende Feuerball wieder
erscheinen wird.
"In melodischer Weichheit schmiegt
sich das dunkle Wasser in die runden, weissen Buchten, in die Flussmündungen
und gleitet über in die dunkle Stille des weiten Meeres, das in der
Ferne in das Grau des Himmels sich aufzulösen scheint. Diese Landschaft
hat nichts Irdisches mehr. Sie scheint in ihrer Entrücktheit ein
in sich geschlossenes Leben zu führen. Sie ist wie der Traum einer
Welt, der sichtbar wird, bevor er sich zur Wirklichkeit gestaltet."
Die schier endlos dauernde Dunkelheit hält viele Überraschungen
bereit. Zum Beispiel das fast unbeschreiblich faszinierende Nordlicht:
"Helle Strahlenbündel schiessen herab.
Sie wirken wie leuchtende Stangen aus Glas. In ungeheurer Höhe entspringen
sie. Sie scheinen senkrecht auf mich herabzufallen, werden immer heller
und greller, erstrahlen in Rosa, Lila und Grün, tanzen und drehen
sich um ihre eigene Achse in wildem Tanz, quer über den ganzen Himmel
hinweg; wehen wie wallende Schleier, werden blass und vergehen."
Der Roman "Eine Frau erlebt die Polarnacht" ist eine Geschichte,
die man mit Hochgenuss liest und die einen sehr berührt. Christiane
Ritter begleitet hier ihren Mann sowie einen Pelzjäger in den Hohen
Norden. Sie schreibt dazu: "Es ist dies eine Zone, wo der Himmel
die Erde berührt. Nicht jeder erträgt das grosse Licht, nicht
jeder die Finsternis, nicht jeder die Einsamkeit." Sie lebt in völliger
Abgeschiedenheit ein Jahr in einer primitiven Hütte, und später
formt sie die Erlebnisse zu einem wundervollen Buch. Es ist ein Band,
der hervorragend zur gegenwärtigen Jahreszeit, nämlich zum Winter,
passt. Im August 2009 wurde der Roman zum 22. Mal neu aufgelegt - und
damit ist eigentlich schon alles über dieses Juwel gesagt.
Rolf
Wesbonk
Rolf
Wesbonk, Stäfa
r.wesbonk@gmail.com
für Ihre Feedbacks
Rolf Wesbonk (rwe.)
Redaktioneller Mitarbeiter NZZ Sport
Geboren 1942 in Adliswil. Aufgewachsen im Sihltal. Nach der Lehre als
Fabrikspengler Weiterbildung an der Abendhandelsschule. Disponent im Anzeigen-Service
der NZZ. Von 1980 bis 2002 freier Mitarbeiter. Seither redaktionelles
Mitglied im Sport mit dem Schwergewicht Fussball. Autor von drei Kriminalromanen,
die in Zürich und Umgebung spielen - mit dem ehemaligen Fussballer
Dillmann als Protagonisten.
Christiane Ritter * 13. Juli 1897 in Karlsbad; † 29. Dezember 2000
in Wien; geborene Knoll war eine österreichische Malerin und Autorin.
Ritters Urgroßvater war der Gründer der Porzellanmanufaktur
Fischer, ihr Vater ein bekannter Rechtsanwalt und die Mutter musisch vielseitig
begabt. Zunächst wollte sie die Laufbahn einer Tänzerin einschlagen,
doch dann erwachte ihr Interesse an den bildenden Künsten. Ihre Grundlagen
als Malerin und Illustratorin wurden auf verschiedenen Schulen in München,
Wien und Berlin gelegt.
Im Alter von 20 Jahren
heiratete sie Hermann Ritter, der gerade sein Schiffsoffizierspatent in
der Tasche hatte. Kurze Zeit später kam ihre Tochter Karin zur Welt.
Ritter verbrachte ein Jahr in einer einsamen Hütte auf Spitzbergen,
fernab jeder Zivilisation. Ihre Erlebnisse und Eindrücke davon schildert
sie in ihrem Buch in dem auch einige ihrer Bilder aus dieser Zeit reproduziert
sind.
Per Schiff landete
sie im Sommer 1934 in Longyearbyen an und begab sich, begleitet von ihrem
Mann Hermann Ritter, nach Gråhuk an der Spitze des Andrée-Landes
im Norden Spitzbergens zwischen Woodfjord und Wijdefjord. Hier verbrachte
sie den Winter, in weiten Teilen auf sich allein gestellt während
ihr Mann oft tagelang auf der Jagd ist, und blieb bis zum Sommer 1935.
Ritters Buch über ihre Zeit auf Spitzbergen „Eine Frau erlebt
die Polarnacht“ wurde in sieben Sprachen übersetzt. Das Buch
gehört zu den Standardwerken der deutschsprachigen Polarliteratur
und wird bis heute verlegt.
Während bis zu
dieser Zeit Expeditionen und andere Aufenthalte in der Arktis meist nur
als extrem entbehrungsreich und strapaziös geschildert wurden, gelang
es Ritter den Wert der arktischen Natur für den Menschen und dessen
Psyche zu schildern. Nachvollziehbar berichtet sie über ihre eigene
Veränderung während des Aufenthaltes im hohen Norden.
Nach
dem 2. Weltkrieg übersiedelt die Familie nach Leoben in der Steiermark,
1985 zieht Ritter nach Wien. Hier stirbt sie 103-jährig.
Archiv
März 2008: Gianrico Carofiglio, Das
Gesetz der Ehre
Juli 2008: Chris Harrison, Siesta italiana
August 2008: Jeffery Deaver, Die Menschenleserin
September 2008: John Harvey, Schlaf
nicht zu lange
Oktober 2008: Norbert Horst, Sterbezeit
November 2008: Michael Connelly, Kalter
Tod
Dezember 2008: Jilliane
Hoffman, Vater unser
Januar 2009: Sjöwall/Wahlöö,
Die Tote im Götakanal
Februar 2009: Richard Stark, Keiner rennt
für immer
April 2009: Esmahan Aykol, Scheidung auf
Türkisch
Mai 2009: Raymond Chandler, Der lange Abschied
Juni 2009: Petros Markaris, Die Kinderfrau
Juli 2009: Carl Hiaasen, Sumpfblüten
August 2009: Jan C. Wagner, Im Winter
der Löwen
September 2009: Peter Robinson, Verhängnisvolles
Schweigen
November 2009: David Peace, Tokio im
Jahre Null
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