Persönlicher Tipp von Michael Ritter, Verleger des wissenschaftlichen Verlages Praesens in Wien

Dan Simmons, Ilium. Deutsche Erstausgabe. Aus dem Amerikanischen von
Peter Robert

 
Heyne Science Fiction and Fantasy Nr. 8320
827 Seiten Fr. 26.90
 


Dass Science Fiction sich weit ab von primitiven Weltraumschlachten und technischen (mehr oder weniger wahrscheinlichen) Zukunftsvorstellungen bewegen kann, ganz und gar nicht einfach in der Struktur der Handlung und der Sprache, kurz also: nicht anspruchslos sein muss, beweist Dan Simmons in seinem Roman "Ilium".

Simmons hatte schon mit seinen "Hyperionsgesängen" grosses Aufsehen erregt und bei der Kritik viele positive Stimmen hervorgerufen. In "Ilium" entwirft er drei Handlungsstränge, die am Ende der über 800 Seiten zusammenfinden. Zugegeben: Der Leser benötigt einen langen Atem, um ans Ziel zu gelangen, und gerade der Einstieg in das Buch beansprucht sicher seine 100 bis 200 Seiten. Danach aber hat man es geschafft, ist drinnen in einem Strudel von Spannung und Faszination, der einen nicht mehr los lässt.

Handlungsstrang Nummer eins spielt in einer fernen Zukunft der Menschheit, in der es nur mehr eine limitierte Zahl von Menschen auf der Erde gibt. Jeder darf genau 100 Jahre alt werden, danach - so der allgemeine Glaube - fährt er auf in ein anderes Leben (allerdings nicht in ein spirituell gefasstes, sondern eines der technologischen "Geborgenheit"). Es ist alles auf Erden geregelt, man "faxt" von einem Ort zum anderen (Fans von "Star Trek" würden hier das Wort "beamen" bevorzugen), es gibt keine Verpflichtungen im Leben, für alles ist gesorgt - quasi ein Schlaraffenland, jedoch ohne Reize. Die beiden Männer Harman und Daeman aber entdecken, dass hinter den Kulissen dieser vermeintlich "perfekten" Welt überhaupt nichts seine Richtigkeit und Stimmigkeit hat.

Handlungsstrang Nummer zwei: Hockenberry, ein gelehrter (Altphilologe) aus dem ausgehenden 20. Jahrhundert, befindet sich mitten auf dem Schauplatz des Trojanischen Kriegs. Die Götter - unter der Führung von Zeus - haben ihn und zahlreiche andere verstorbene Gelehrte aus verschiedenen Jahrhunderten wieder belebt und zur Beobachtung des Verlaufs des Kriegs eingesetzt. Als Hockenberry den scheinbar bis ins kleinste Detail vorprogrammierten Verlauf der Geschehnisse durchbrechen möchte, entdeckt er die Brüchigkeiten dieser eigenartigen Welt, die in Wirklichkeit (falls man von einer Wirklichkeit überhaupt noch reden kann) nicht jene rund um das antike Troja zu sein scheint.

Handlungsstrang Nummer drei: Er ist der technischste und bereitet insofern die grösste Mühe, in das Buch hineinzufinden, denn Simmons verwendet rund um die beiden Hauptgestalten, die Moravecs Mahnmut und Orphu, eine grosse Menge von Begriffen, die sich erst im Laufe der Lektüre erschliessen. Auch ein Glossar am Ende des Buches hilft dem Leser hier überhaupt nicht weiter.

Am Anfang der Lektüre steht also durchaus eher das Gefühl des Verwirrtseins als das einer klaren Orientierung. Doch das alles ist Kalkül des Autors. Und es geht auf, denn die Neugier des Lesers ist so gross, dass er sich diese Welten unbedingt erschliessen will, was ihm - wie bereits eingangs erwähnt - mit einiger Geduld auch gelingt. Die Mühen des Anfangs lohnen sich, Simmons hat ein komplexes Werk vorgelegt, das wahrhaft in der Lage ist, Welten zu erzählen, sie erzählerisch zu schaffen. Wie die drei Handlungsstränge zueinander führen, sei hier nicht verraten. Wer aber von diesem Band fasziniert war, kann die Fortsetzung im Roman "Olympos" finden.

Michael Ritter, Wien


Michael Ritter, Wien und sein Verlag www.praesens.at

 

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