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Rolf
Wesbonk hat für Sie den Krimi "God's Pocket" des amerikanisches
Autors Pete Dexter gelesen:
Eine Achterbahnfahrt, die fasziniert.
Pete
Dexter, God's Pocket
Liebeskind
368
Seiten Fr. 37.90
Ein Meisterwerk namens God's Pocket
Der Band wurde 1983 erstmals aufgelegt. geriet dann in Vergessenheit,
ehe er vor kurzem vom Verlag "Liebeskind" wieder entdeckt und
neu in die Buchhandlungen gebracht wurde. Mit überwältigendem
Erfolg übrigens, hielt sich doch "God's Pocket" viele Monate
lang in den Listen der meistverkauften Krimis.
Die zentrale Passage dieses Buches: Aus
dieser Szene erwachsen Handlungsstränge, die in alle Richtungen führen.
Es passierte, noch ehe Peets eingreifen konnte.
Oder, nein, das stimmte so nicht. Es passierte zu einem Zeitpunkt, an
dem er nicht eingreifen konnte. Old Lucy hatte ihn noch nie zuvor um Hilfe
gebeten, doch dann hing ihm plötzlich ein Messer unterm Kinn und
nur der liebe Gott wusste, was Leon vorhatte. Schliesslich nahm Leon das
Messer wieder weg, und Peets wollte ihn schon zur Rede stellen.
Noch während sich der Junge zu den anderen umdrehte, legte Old Lucy
seinen Sandwich beiseite, erhob sich und liess das anderhalb Zentimeter
dicke Eisenrohr, das er unversehen in der Hand hielt, auf Leons Hinterkopf
niedersausen.
Er schlug nur ein einziges Mal zu. Leon ruderte mit den Armen durch die
Luft und fiel seitwärts zu Boden, wo er sich im Dreck zusammenkrümmte.
Old Lucy betrachtete ihn einen Moment lang und setzte sich wieder an seinen
alten Platz. Er wischte sich das Blut, das vom Rasiermesser herrührte,
vom Kinn, legte das Eisenrohr neben sich auf den Boden und starrte dann,
weil es gar nicht anders ging, auf den Körper. Er versuchte nicht,
sich zu verdrücken. Es war ja schliesslich sein Platz.
Das Ende von Leon Hubbard hatte sich längst abgezeichnet. Er war
eine miese Ratte gewesen, hatte allen in der Arbeitscrew immer wieder
mit seinem Rasiermesser Angst und Schrecken eingejagt. Als er schliesslich
dem alten Old Lucy, der nichts anderes wollte, als saubere, seriöse
Arbeit zu verrichten, die Klinge gegen das Kinn hielt und den Schwarzen
dabei verletzte, brachte dies das Fass zum Überlaufen. Und führte
zu seinem abrupten Tod. Es war eine fast völlig unaufgeregt durchgeführte
Tat, die letztlich niemand erstaunte oder schockierte. Deshalb verhielt
sich die Gruppe solidarisch mit Old Lucy. Der Vorarbeiter Coleman Peets,
der seit zwanzig Jahren Bautrupps herumkommandierte und in dieser Zeit
gegen viele harte Männer hatte kämpfen müssen und einmal
gar gezwungen war, einen Typen zu töten, fand schliesslich eine erstaunliche
Lösung des Problems.
Mit der Erklärung Coleman Peets zum Tod von Leon Hubbard wollten
sich jedoch viele Zeitgenossen nicht zufrieden geben. Da war einmal die
Polizei, die sich skeptisch zeigte. Die Mutter von Leon wollte ebenfalls
Genaueres wissen, ebenso ein versoffener Reporter namens Richard Shellburn.
In God's Pocket, dem Viertel, aus dem Leon stammte, regten sich nebst
Mitgefühl ebenfalls Misstrauen. Und wäre dies alles nicht genug,
mischte sich auch noch die Mafia ein.
Aus
all diesen Zutaten mixte der Autor Peter Dexter einen grossartigen Roman,
der von vielen Auguren als Meisterwerk gepriesen wurde. Einen Roman, in
dem viel Zufall, ein nicht geringes Gewaltpotenzial sowie wenig Gerechtigkeit
herrschen.
Der Autor Pete Dexter, 1943 in Michigan (USA) geboren, arbeitete über
fünfzehn Jahre als Zeitungsreporter. Nachdem er wegen eines kritischen
Artikels krankenhausreif geschlagen worden war, wandte er sich mit nicht
geringem Erfolg der Schriftstellerei zu. Einen Namen machte er sich ebenfalls
mit dem Verfassen von Drehbüchern. Für seinen Roman "Paris
Trout" wurde er 1988 mit dem National Book Award ausgezeichnet.
Rolf Wesbonk
Rolf
Wesbonk, Stäfa
rwesbonk@gmail.com
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Rolf Wesbonk (rwe.)
Redaktioneller Mitarbeiter NZZ Sport
Geboren 1942 in Adliswil. Aufgewachsen im Sihltal. Nach der Lehre als
Fabrikspengler Weiterbildung an der Abendhandelsschule. Disponent im Anzeigen-Service
der NZZ. Von 1980 bis 2002 freier Mitarbeiter. Seither redaktionelles
Mitglied im Sport mit dem Schwergewicht Fussball. Autor von drei Kriminalromanen,
die in Zürich und Umgebung spielen - mit dem ehemaligen Fussballer
Dillmann als Protagonisten.
Archiv
März 2008: Gianrico Carofiglio, Das
Gesetz der Ehre
Juli 2008: Chris Harrison, Siesta italiana
August 2008: Jeffery Deaver, Die Menschenleserin
September 2008: John Harvey, Schlaf
nicht zu lange
Oktober 2008: Norbert Horst, Sterbezeit
November 2008: Michael Connelly, Kalter
Tod
Dezember 2008: Jilliane
Hoffman, Vater unser
Januar 2009: Sjöwall/Wahlöö,
Die Tote im Götakanal
Februar 2009: Richard Stark, Keiner rennt
für immer
April 2009: Esmahan Aykol, Scheidung auf
Türkisch
Mai 2009: Raymond Chandler, Der lange Abschied
Juni 2009: Petros Markaris, Die Kinderfrau
Juli 2009: Carl Hiaasen, Sumpfblüten
August 2009: Jan C. Wagner, Im Winter
der Löwen
September 2009: Peter Robinson, Verhängnisvolles
Schweigen
November 2009: David Peace, Tokio im
Jahre Null
Dezember 2009: Christiane Ritter, Eine
Frau erlebt die Polarnacht
Februar 2010: James Sallis, Dunkle Schuld
März 2010: Don Winslow, Frankie Machine
April 2010: Helen Tursten, Die Tote im
Keller
Juli 2010: Ferenc
Máté, Die Hügel der Toskana. Mein neues Leben in einem
alten Land
August 2010: Phillip Gwynne, Vor dem Regen
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