Rolf Wesbonk aus Stäfa hat für Sie den Krimi "Wahrheit" des in Australien lebenden Autoren Peter Temple gelesen. Das Buch wurde als bester australischer Roman ausgezeichnet.


Peter Temple, Wahrheit
C. Bertelsmann Verlag
476 Seiten Fr. 34.50

Wer nach der Wahrheit sucht

Es roch wie in einem Schlachthaus, nach Exkrementen, Pisse, Blut und Angst.

Flach atmend trat Villani über das schwärzliche Rinnsal und stand nun im Inneren des riesigen Lagerhauses aus Blech. Durch die Türöffnung fiel Licht auf einen Mann, der gleich vorn auf dem Bauch am Boden lag, seine Körperflüssigkeiten hatten einen kleeblattförmigen Umriss gebildet, ehe sie unter der Tür hindurch ins Freie flossen.

Zehn Meter entfernt, an einer Seitenwand, hingen schlaff an stählernen Dachholmen zwei Männer, die Hände über ihren Köpfen mit Gewebeklebeband gefesselt. Sie waren nackt, mit getrocknetem Blut bedeckt, die Füsse in schwarzen Pfützen.

"O Gott“, sagte Villani. "Unfassbar."

Neben diesen drei Morden ermittelt Stephen Villani, kommissarischer Leiter des Morddezernats, noch in einem weiteren Fall: Ein junges Mädchen ist in einem teuren neuen Wohnkomplex tot aufgefunden worden. Was für die Betreiber des Prestigeobjektes sehr unangenehm ist, sind doch hier für die reichen Mieter die besten Sicherheitssysteme installiert worden. Zudem ist so ein Mord nicht gerade die beste Reklame, um die teuren Wohnungen zu verkaufen. Deshalb soll diese Geschichte mit allen Mitteln vertuscht werden, was auch im Sinne der führenden Politiker ist, die diese Bluttat am liebsten unter den Teppich kehren würden.

Zu lesen ist dies im Roman "Wahrheit" von Peter Temple. Es handelt sich hier um einen der kraftvollsten Krimis der vergangenen Jahre. Dem in Südafrika geborenen Temple, der heute in Australien lebt, wurde denn auch eine seltene Ehre zuteil: Sein Buch ist 2010 als bester australischer Roman ausgezeichnet worden. Der Krimi, der in Melbourne spielt, ist tatsächlich eine Wucht. Der Leser erlebt in grandiosen Schilderungen, wie Villani unter enormem Zeitdruck verzweifelt versucht, die wenig appetitlichen Fälle zu lösen und gleichzeitig seine Familie vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren. Es ist auch die Zeit der grossen Waldbrände, die alles bedrohen – auch das Haus von Villanis Vater, der sich um keinen Preis von seinem Land vertreiben lassen will. Dies alles bildet den Rahmen für ein Drama, das tatsächlich mit dem schlichten Wort "Wahrheit" umschrieben werden kann.

Rolf Wesbonk

 


Peter Temple

Peter Temple, geboren 1946 in Südafrika, war Journalist, bevor er anfing Bücher zu schreiben. Er veröffentlichte bislang acht Romane und gehört zu den herausragenden australischen Autoren seiner Generation. Er lebt mit seiner Familie in Ballarat, Australien.

Rolf Wesbonk, Stäfa
rwesbonk@gmail.com für Ihre Feedbacks
Rolf Wesbonk (rwe.)
Redaktioneller Mitarbeiter NZZ Sport
Geboren 1942 in Adliswil. Aufgewachsen im Sihltal. Nach der Lehre als Fabrikspengler Weiterbildung an der Abendhandelsschule. Disponent im Anzeigen-Service der NZZ. Von 1980 bis 2002 freier Mitarbeiter. Seither redaktionelles Mitglied im Sport mit dem Schwergewicht Fussball. Autor von drei Kriminalromanen, die in Zürich und Umgebung spielen - mit dem ehemaligen Fussballer Dillmann als Protagonisten.


Archiv

März 2008: Gianrico Carofiglio, Das Gesetz der Ehre
Juli 2008: Chris Harrison, Siesta italiana
August 2008: Jeffery Deaver, Die Menschenleserin
September 2008: John Harvey, Schlaf nicht zu lange
Oktober 2008: Norbert Horst, Sterbezeit
November 2008: Michael Connelly, Kalter Tod
Dezember 2008: Jilliane Hoffman, Vater unser
Januar 2009: Sjöwall/Wahlöö, Die Tote im Götakanal
Februar 2009: Richard Stark, Keiner rennt für immer
April 2009: Esmahan Aykol, Scheidung auf Türkisch
Mai 2009: Raymond Chandler, Der lange Abschied
Juni 2009: Petros Markaris, Die Kinderfrau
Juli 2009: Carl Hiaasen, Sumpfblüten
August 2009: Jan C. Wagner, Im Winter der Löwen
September 2009: Peter Robinson, Verhängnisvolles Schweigen
November 2009: David Peace, Tokio im Jahre Null
Dezember 2009: Christiane Ritter, Eine Frau erlebt die Polarnacht
Februar 2010: James Sallis, Dunkle Schuld
März 2010: Don Winslow, Frankie Machine
April 2010: Helen Tursten, Die Tote im Keller
Juli 2010: Ferenc Máté, Die Hügel der Toskana. Mein neues Leben in einem alten Land
August 2010: Phillip Gwynne, Vor dem Regen
Oktober 2010: Pete Dexter, God's pocket
Dezember 2010: Ake Edwardson, Toter Mann
Januar 2011: Elizabeth George, Wer dem Tode geweiht
April 2011: Scott Turow, der letzte Beweis
August 2011: Friedrich Ani, Süden

September 2011: Marco Malvaldi, Im Schatten der Pineta

OBEN