Die Journalistin Elisabeth Bardill-Meyer aus Tenna im Safiental hat mir die Erlaubnis gegeben, ihre Buchbesprechungen hier abzudrucken.

Zwei neue Buchbesprechungen für Sie:

Regua Caviezel, Die Silberne
Fabio Andina, Tage mit Felice

 


Regula Caviezel,
Die Silberne
Antium Verlag
128 Seiten Fr. 21.50 Info/bestellen

Die Silberne

«Unwirklich und wie im Märchen empfindet Sine den ersten Blick auf das alte Haus oben am Berg. Der Bauer gibt ihr den Schlüssel in die Hand, bis er das nächste Heufuder hole, dürfe sie hinein, das Haus gehöre zum Hof und sei in der alten Zeit als Maiensäss genutzt worden. In der Küche habe man gekäst und in der Stube nebenan geschlafen, aber bei sehr grosser Kälte habe Grossvater neben der Futterraufe hinter dem Viehläger schlafen müssen.» Sine lebt seit ihrer gescheiterten Ehe allein am Berg oben. Der Kinderwunsch blieb ihr verwehrt, der Bauer nahm eine andere Frau, damit der Hof weiterbestehen kann. In der Einsamkeit schärfen sich ihre Sinne für Düfte, Geräusche, Blumen und kleine Lebewesen unter den Steinen und der Grasnarbe. Eine besondere Beziehung hat sie zur Blindschleiche, von ihr als die Silberne erkannt. Die kleine Silberne säumt die Geschichte von einer älteren Frau mit grauem Zopf, die sich über das Erdreich zu ihren Füssen beugt. Sie spürt eine sich im Anzug befindende Begrenzung oder Eingrenzung, ja ahnt, dass es ein Ende hat. – Das nächtliche Ereignis, wo sie einen erschöpften, kranken Mann am Wegrand findet, rüttelt an Sines eingespielter Lebensform als Heilerin für Dorfbewohner, welche sich verstohlen zu ihr hinauf begeben. Der ungebetene Gast ist auf die verschlossene Frau angewiesen. Aus der Fremdheit beider bildet sich eine wortlose Annäherung.
Die Aurorin Regula Cavieze, geboren 1951, ist Bauerntochter aus dem Thurgau und heute Bergbäuerin in Urmein. Die ausgebildete Kindergärtnerin beschäftigt sich seit jeher mit Musik, Kunsthandwerk, Malerei, Kräuterheilkunde und Literatur. Da sie selber in einem spannenden Umfeld lebt, wo sie die Eigenart verschiedenster Leute wahrnimmt, schrieb sie ihren ersten Roman. Im wunderbaren Fluss der Sprache charakterisiert sie mit spürbarer Achtung die Menschen, die es am Heinzenberg oben durchaus geben könnte. Da leben tatsächlich Jenische, alteingesessene Bauernfamilien, Künstler oder Aussteiger, weshalb auch immer. Die Autorin versteht es, Rationales mit Geheimnisvollem zu verweben. Das macht ihre Geschichte so menschlich und schön. «Es ist beinahe dunkel in der Küche, nur erhellt durch den Flackerschein glimmender Scheite und den tanzenden Irrlichtern von draussen.»
Tenna 28. Juni 2020
Elisabeth Bardill



Fabio Andina, Tage mit Felice
Rotpunkt Verlag
240 Seiten Fr. 28.00 Info/bestellen

Erfülltes Leben im Tessiner Bergdorf


«Tage mit Felice», ein Roman, der im ruhigen, beruhigenden Erzählstil dahinfliesst. Der Autor Fabio Andina oder sein zweites «Ich» verlebt ein paar Tage mit dem weisen, betagten Mann zusammen, der frühmorgens nach längerem Fussmarsch in einem Tümpel badet, sommers wie winters. «Jetzt sitze ich mit Felice in der Küche. Er öffnet die Ofenklappe der Sarina, sodass sein Gesicht orange erstrahlt, kneift die Augen zusammen, während er Holz nachlegt. Dann gibt er zwei Stück Kürbis zu bereits im Wasser kochendem Rosmarin und weiss Gott welchen anderen Kräutern hinzu. Er nimmt eine Zeitung aus einer der Schubladen des Küchenschranks und geht hinaus. Setzt sich auf die linke Granitbank und beginnt, von hinten in dem zwei oder drei Tage alten Giornale del Popolo zu blättern, den er von der Wirtin des Cedrone bekommt.» In würdevoller Bescheidenheit, ohne sich dessen bewusst zu sein, lebt Felice sein Leben inmitten einer Dorfgemeinschaft. In seiner hilfreich aufmerksamen Art ist er weder Missionar noch Weltverbesserer. Er tut im Moment das Richtige. Sein rituelles Morgenbad im kalten Wasser wie das zweite Bett, das er sich beschafft, bleiben Geheimnis. Warum? fragen sich wohl manche Leute im Dorf.
Beim Lesen dieses Buches taucht man ein in das ‘einfache Leben’. Man wird hineingezogen oder legt das Buch beiseite. Die Schönheit der Beschreibung eines erfüllten Lebens zieht jedoch Viele in den Bann. Man lernt verschiedene Menschen im Bleniotal kennen, wo eine Geburt ansteht, wo gestorben wird und dazwischen Alltägliches geschieht und ab und zu auch etwas Besonderes. Der präzise, liebevolle Blick auf die Bevölkerung macht Vorurteile und Zuteilungen zunichte. Der Autor verstand es, den Film im Kopf der Leserschaft abspulen zu lassen. Erfülltes Leben mit Leiden und Freuden wird bildreich miterlebt und vermischt sich mit eigenen Erinnerungen und Wünschen. Zudem ist «Tage mit Felice» ein Kunstwerk: Mit treffenden Worten wird ein Mensch beschrieben, der fast nichts spricht, der sich durch seine Lebensform zu erkennen gibt. Sein Verschwinden lässt uns Leserinnen und Leser in der Stille zurück. «Da fliege ich ihm noch einmal mit den Erinnerungen hinterher, bleibe aber reglos auf dem Stein, in der Kälte, in der Dunkelheit, allein mit mir selbst und still in der Stille. Weil es nichts mehr zu sagen gibt.»
Tenna 3. August 2020
Elisabeth Bardill


Elisabeth Bardill


Elisabeth Bardill-Meyer kam 1941 im aargauischen Auenstein zur Welt und wuchs danach in Küsnacht am Zürichsee auf. Nach der Ausbildung zur Kindergärtnerin an der Neuen Mädchenschule Bern war sie in Bubendorf BL tätig. Nach der Heirat mit einem Bündner Lehrer zog sie nach Tenna ins Safiental und später nach Schiers. Sie hat vier Söhne und fünfzehn Enkel. Während vieler Jahre unterrichtete sie im Bildungszentrum Palottis Schiers in den Fächern Erziehungslehre, Werken und Gestalten. Seit 2004 lebt Elisabeth Bardill mit ihrem Mann wieder in Tenna. Sie arbeitet freischaffend journalistisch für Zeitschriften, Zeitungen wie auch regelmässig für die „Terra Grischuna“, schreibt Bücher und gibt diese selber unter „edition bardill“ heraus. Es handelt sich stets um Porträts von Menschen in Graubünden.



Elisabeth Bardill, Männer und Frauen verwurzelt in Graubünden

Edition Bardill
Fr. 30.00 bitte mit Mail bestellen



Elisabeth Bardill, Bauernstolz und Bauerntum
Edition Bardill, 2008 Fr. 35.00 bitte mit Mail bestellen

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