Am 15. März 2012 besprach Bernadette Conrad auf der Kulturseite des Zürcher Oberländers das Buch: "Die undankbare Fremde" von Irena Brezna. Mit der Einwilligung der Redaktion kann ich hier diesen Text abdrucken:

 


Irena Brezna, Die undankbare Fremde
Galiani Verlag

140 Seiten Fr. 24.90



«Ich bleibe eine Nomadin»

Hinter Irena Breznas Buch «Die undankbare Fremde», das vor drei Tagen erschienen ist, stehen Jahrzehnte des Ankommens in der Schweiz. Eine Begegnung mit einer engagierten Autorin.

BERNADETTE CONRAD

«Kommen Sie, ich zeige Ihnen etwas!» Irena Brezna läuft voraus über die Mittlere Brücke in Basel, an deren Ende, hoch über dem Rhein, eine Frau sitzt: gross, schwer, den Blick über den Fluss gerichtet. Wenn man sich ihr nähert, ist nur noch der breite Rücken zu sehen. Am Boden steht ihr Koffer – Reisegepäck wohin? «Wenn ich sie sehe, möchte ich ihr tragen helfen», sagt Irena Brezna, Schriftstellerin, im Blick auf die bronzene «Helvetia auf Reisen» der Künstlerin Bettina Eichin. Und da hat Brezna, 61, eine grosse Frau mit langen braunen Haaren und stolz aufrechtem Gang schon eine Menge verraten über ihr Leben in der Schweiz, das kein Schweizer Leben ist. Zu gut kennt sie die kalte Rückseite der Helvetia. Auch über das Gewicht von Koffern weiss sie, die vor gut 43 Jahren in der Schweiz einreiste und sich durch die Jahrzehnte durch alle Stadien von Fremdheit und Nähe durcharbeitete, vermutlich besser Bescheid als die meisten.

Schwierige Ankunft
1968 kam Irena Brezna, 18-jährig, mit ihren Eltern aus der damaligen Tschechoslowakei;
eine junge Frau voller Elan, die sich «als Revolutionärin für ihr Land» sah. «Dann kam ich hier an, wo man überhaupt nicht gebraucht wurde. Wie unglücklich ich war!» Jetzt, fast 44 Jahre später, erscheint ihr Buch «Die undankbare Fremde», das von einer endlos schwierigen Ankunft in der Schweiz erzählt.
«Kommen Sie zum Eingang des Basler Kantonsspitals», hatte Irena Brezna vorgeschlagen. Sie war, wie so oft, zum Übersetzen ins Spital gerufen worden, um Patienten aus Weissrussland oder der Ukraine bei der Verständigung zu helfen. «Heute war es ein junger Mann aus der Slowakei, der schon fast ein Jahr hier arbeitet, aber kaum Deutsch kann.» Als Irena Brezna ihr Land und den Prager Frühling hinter sich lassen musste, eroberte sie sich die neue Sprache, so schnell sie konnte: eine Ablenkung vom Trennungsschmerz, vom Anfangsunglück in der Schweiz. «Für mich war mein Land verspielte Muttersprache gewesen, Lachen mit meinen Freundinnen, selbstverständliche Zugehörigkeit, ein warmer Strom», heisst es in «Die undankbare Fremde».
«Nichts als abhauen wollte ich aus der gefegten Leere, wo man mich massregelte.
» Nach nur einem halben Jahr begann die junge Irena Brezna an der Uni Basel zu studieren,Psychologie, Philosophie, slawische Sprachen. Dolmetschen gehörte bald zum Leben.

Mit schnellem Schritt geht Irena Brezna durch Basel, diesem inzwischen so vertrauten Boden. Dass es Grenzstadt ist, man schnell nach Deutschland oder Frankreich entweichen kann, mag sie. Am stärksten ist ihr die deutsche Sprache Heimat geworden – die Hochsprache, wohlgemerkt.
«In einen Dialekt kann man nicht einwandern! Das wäre, wie wenn man bei Fremden gleich ins Schlafzimmer gehen würde.» Dass die Liebe der Schweizer zur Mundart mit einer «Unliebe zur Hochsprache» einhergeht, schafft eine für sie ständig spürbare Kluft. Aber längst hat sie in der Fremdheit ihre Identität gefunden: «In einer dieser Nächte fand ich heraus, dass ich reich war … Ich hatte ein tragisches Schicksal», heisst es in einer Schlüsselszene des Buches, die vermutlich auch für Breznas Leben gilt. Ob sie übersetzte, sich in politischen Reportagen für Dissidenten starkmachte, als Kriegsberichterstatterin in Tschetschenien schrieb, in einem Büro des Roten Kreuzes Flüchtlinge empfing – jede dieser Arbeiten nimmt ihren Anfang in der spezifischen Kompetenz: zu wissen, was der Verlust von Heimat, Sprache, Identität bedeutet.

Es scheint, dass Breznas vielfältiges berufliches Engagement ebenso wie ihr Grossziehen zweier Söhne im Zeichen dieser Spannung stand: auf Fremdheit zu beharren und sich gleichzeitig den neuen Boden erobern. Vermutlich ein nicht abkürzbarer Prozess – den ihr
sehr persönliches Buch «Die undankbare Fremde» nun besiegelt?

Recht auf Abstand
«Ich seilte mich tiefer ins Wesen des Landes ab …» sagt die Erzählerin an
einer Stelle und findet, langsam, für sich heraus, dass sie in der verstörenden Pflicht zur Distanz, wie sie in der Schweiz üblich ist, auch eine «Rettung» entdecken kann: ein Recht auf Abstand – statt auf Verschmelzung –, auf scharfes Denken, auf Genauigkeit.

Freude an sprachlicher Genauigkeit durchzieht auch ihr Buch, in dem ein hohes elegisches Erzählen wechselt mit knappen dokumentarischen Einschüben:
Szenen aus der «anderen» Schweiz, wenn sie den in Schweizer Spitälern, Gefängnissen anlandenden Fremden als Dolmetscherin kurz ihre Stimme leiht. «Aber ich bleibe eine Nomadin», lächelt Irena Brezna, die ihrer «Fremd-Heimat» Schweiz mit ihrem Buch nun das Dokument einer Auseinandersetzung geschenkt hat, wie sie sich leidenschaftlicher
nicht denken lässt.

Irena Brežná, geboren 1950 in der Tschechoslowakei. 1968 Emigration in die Schweiz. Journalistin, Schriftstellerin, Slawistin, Psychologin, Menschenrechtlerin. 2008 erschien ihr autobiographisch gefärbter Romane „Die beste aller Welten” und 2010 der Liebesroman “Schuppenhaut”. Zahlreiche Auszeichnungen, u.a. EMMA-Journalistinnenpreis und Theodor-Wolff-Preis für ihre Kriegsreportagen aus Tschetschenien. Zuletzt erschien bei Galiani in Berlin der Roman "Die undankbare Fremde".



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