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Vor
einigen Monaten trafen wir zufälligerweise Christian Jossi in der
Fotostiftung in Winterthur. Wir hatten uns seit Jahren nicht mehr gesehen.
Christian Jossi erzählte uns von seiner Arbeit als Korrektor im Appenzeller
Medienhaus in Herisau und seinen gelegentlichen Buchbesprechungen.
Nun hat er mir die versprochene Buchbesprechung, die am 26. April in der
Appenzeller Zeitung erschienen ist, zugesandt:
Peter
Hersche, Agrarische Religiosität. Landbevölkerung und
traditioneller Katholizismus in der voralpinen Schweiz
1945–1960
Verlag hier + jetzt, Baden
400 Seiten, 19 schwarzweisse Abbildungen Fr. 49.00
bitte mit Mail bestellen
Langlebige
barocke katholische Mentalitäten
Der Historiker Peter Hersche macht mit der Methode der „oral history“
eine „spätestbarocke Mentalität“ bis in die Nachkriegszeit
in Innerrhoden dingfest.
Das Barockzeitalter wird gemeinhin dem 17. und 18. Jahrhundert zugewiesen.
Der im bernischen Konolfingen lebende Innerrhoder Peter Hersche, emeritierter
Professor der Universität Bern und ausgewiesener Kenner der religiösen
Volkskunde und der Agrargeschichte, stellt in seinem druckfrischen Buch
über den ländlichen Katholizismus die These vor, dass die religiösen
Mentalitäten und Verhaltensweisen im ländlichen Raum bis weit
ins 20. Jahrhundert überdauert haben und noch eine grosse Rolle in
der Gesellschaft spielten.
Hersche beschreibt eine in diametralem Gegensatz zur „Protestantischen
Ethik“ stehende, dem frühneuzeitlichen Katholizismus eigene
Mentalität, die sich im Zeichen der Gegenreformation ausformte und
die trotz der Kritik der Aufklärung in veränderter Form im 19.
Jahrhundert wieder auflebte. Sie hielt sich trotz gegenteiliger Bestrebungen
bis zur erneuten umfassenden Modernisierungswelle nach dem Zweiten Weltkrieg
beziehungsweise kirchlicherseits bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil.
Die Zeit zwischen etwa 1955 und 1960 sei deshalb eine Epochenschwelle.
Ungebrochenes
Verhältnis zur Vergangenheit
Die Untersuchung des Phänomens konzentriert sich auf die zwei ländlich-katholisch
geprägten Regionen Appenzell Innerrhoden (unter Ausschluss der Exklave
Oberegg) und Obwalden (mit Engelberg). Nur wenige Gegenden Europas hätten
ein solch ungebrochenes Verhältnis zur Vergangenheit wie die beiden
gewählten Regionen. Basis der Spurensicherung waren Interviews mit
älteren Menschen, welche die Nachkriegszeit als junge Erwachsene
noch aktiv und bewusst miterlebt haben, so etwa Teilnehmerinnen und Teilnehmer
des von der Pro Senectute Appenzell Innerrhoden initiierten „Erzählcafés“.
Der erhebliche Mangel an schriftlichen Quellen aus dem Barockzeitalter
legte den Rückgriff auf die mündliche Überlieferung („oral
history“) nahe; gewissermassen im letzten Moment bevor die letzten
Träger dieser „spätestbarocken“ Mentalität
verschwunden sind. Gerne erinnert sich Hersche an seine Besuche bei den
zahlreichen anonymen Zeitzeugen auf Bauernhöfen und Alterssitzen.
Beigezogen wurden aber auch Experten wie der Volkskundler und an der Landsgemeinde
von Ende April zum stillstehenden Landammann gewählte Roland Inauen,
der katholische Pfarrer von Appenzell, Stephan Guggenbühl, und Patres
des mittlerweile geschlossenen Kapuzinerklosters Appenzell.
Barocker
Kult um die Kuh
Herausgearbeitet wird von Hersche der Zusammenhang vom Untergang der althergebrachten
Landwirtschaft und der traditionellen Religiosität. Er schreibt damit
nicht traditionelle, an den Institutionen orientierte Kirchengeschichte,
sondern eine Sozial- und Alltagsgeschichte des Religiösen im ländlichen
Raum. Der Autor stellt beispielsweise fest: Für den katholischen
Raum typische agrarische Segensrituale wie Betruf, Bittgänge, Bauernheilige
oder den Tieren gegebene geweihte Dinge konnte es bei den Protestanten
nicht geben. Den der Dominanz der Viehwirtschaft in Innerrhoden entsprungenen
„Kuhkult“ schreibt Hersche dem Umstand zu, dass der Barock
historisch auch ein Kult der Schönheit gewesen sei. Ästhetische
Überlegungen bei der Tierhaltung seien nach 1960 dem alles andere
überlagernden Renditedenken zum Opfer gefallen. „Der Kult um
die Kuh konnte sich vermutlich bloss in die Gegenwart hinüberretten,
weil er folkloristisch nutzbar war.“
Hersche erinnert daran, dass französische Historiker – besonders
jene aus dem Umkreis der École des Annales, die ihm stets als Anregung
dienten – den Untergang der traditionellen Landwirtschaft und der
traditionellen Religiosität als die beiden grössten Verlusterfahrungen
des 20. Jahrhunderts bezeichnet haben. Die Landwirtschaft sei in Innerrhoden
200 Jahre nach der Aufklärung rational organisiert und der Katholizismus
so vernünftig wie der Protestantismus geworden, so Hersche. „Aber
um welchen Preis?“
Christian Jossi
Peter Hersche; Agrarische Religiosität. Landbevölkerung und
traditioneller Katholizismus in der voralpinen Schweiz 1945–1960;
400 Seiten, Fr. 49.—
ISBN 978-3-03919-282-3, Verlag hier + jetzt, 2013.
Christian
Jossi (*1961) ist Historiker und Staatsrechtler. Er arbeitet als Korrektor
im Appenzeller Medienhaus in Herisau. Christian Jossi wohnt in Winterthur,
wo er für das Nord-Süd-Haus Lesungen organisiert. Ausserdem
ist er OK-Chef des "Kulturpodiums Nord-Süd", das am Albanifest
mit Live-Musik, Bar und Beiz den Kirchplatz in Winterthur belebt.
Flyer "Uebers Meer"
Kulturpodium Nord-Süd
Archiv
Juni
2002 Enrico Danieli
Juli
2002 Bernhard Gurtner
August
2002 Erhard Taverna
September
2002 Hansruedi Gehring
Oktober
2002 Bernhard Gurtner
Januar
2003 Hans-Jakob Schmid
Februar
2003 Alfred Bollinger
März
2003 Bernhard Hess
April 2003
Erhard Taverna
Mai 2003 Jürg
Steiner
September
2003 Enrico Danieli
Dezember
2003 Christian Scholz
Januar
2004 Katharina Zaugg
Februar 2004 Werner Müller
März
2004 Enrico Danieli
April
2004 Kurt Jenny
Dezember
2005 Bärbel Schnegg
Februar
2006 Martin Müller
Oktober
2006 Michael Ritter, Wien
August
2007 Michael Ritter, Wien
Oktober
2007 Bernadette Reichlin, Wald
Januar 2008 Fritz
Coester, Wimmis
März
2008 Rolf Wesbonk, Stäfa
April
2008 Kurt Knobel, Stäfa
Mai
2008 Lotti Klaiber, Bern
Juli 2008 Rolf
Wesbonk, Stäfa
September 2008 Annette
Frommherz, Bubikon
Januar 2009 Peter
Schindler, Zürich
Juni 2009 Almut
Meier-Weinand, Zürich
Juli 2009
Paul Ott, Bern
Dezember
2009 Peter Wehrli, Bern
Februar
2010 Bernadette Reichlin, Wald
Mai 2010
Alfred Bollinger, Stäfa
Juli 2010
Bernadette Reichlin, Wald
Oktober
2010 Iris Schäppi, Stäfa
Januar
2011: Bernadette Reichlin, Wald
März
2011: Bruno Kesseli, Basel
Mai 2011:
Martin Ebel, Zürich
März
2012: Urs Faes, Zürich
April 2012: Bernadette
Conrad, Zürcher Oberländer, Wetzikon
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