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Die
Journalistin Elisabeth Bardill-Meyer aus Tenna im Safiental hat mir die
Erlaubnis gegeben, ihre Buchbesprechungen hier abzudrucken.
Zwei Besprechungen für Sie:
Cesare Pavese, Der schöne Sommer
C.F. Ramuz, Derborence
Ceare
Pavese, Der schöne Sommer
Rotpunkt Verlag
480 Seiten Fr. 34.00 Info/bestellen
Der
schöne Sommer
Im neu aufgelegten, ins Deutsche übersetzten Band, wurden drei Romane
vom italienischen Schriftsteller Cesare Pavese aneinandergereiht. Gemeinsam
ist ihnen der Schauplatz Turin die umliegenden Hügel und die jungen
Leute, die das Leben geniessen wollten und es doch nicht ganz schafften.
Es geht um Stadt, Land und Natur, um ein moralisches Klima während
und nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die Liebesgeschichte von Ginia in Turins Künstlerkreisen zeigt sich
schön, aufwühlend und verstörend zugleich. In einem besonderen
Jahr merkte Ginia, dass sie sich von anderen Mädchen unterschied,
nämlich dass sie zuhause allein war und mit sechzehn Jahren wie eine
Frau leben konnte. Ihr Bruder, Severino zählte nicht. Sie konnte
tun und lassen, was sie wollte und zog mit anderen jungen Leuten durch
das Viertel, ging tanzen und besuchte das Kino. Trotzdem war sie eigentlich
immer allein. Sie war feiner als die anderen. Die Bekanntschaft mit der
um einige Jahre älteren Amelia führte Ginia in ein Maleratelier.
Ob es sich um einen echten oder nur eingebildeten Maler handelte ist in
dieser Geschichte unwichtig. Ginia war verwirrt, weil dieser Mann mit
Modellen arbeitete. Vorerst fühlte sie dessen neugierige Augen auf
sich ruhen und wusste nicht ob Alter oder Verschlagenheit aus ihnen sprach.
Für Ginia war einfach alles neu und unfassbar.
Im Roman «Der Teufel auf den Hügeln» geht es um junge
Männer, die sich den Müssiggang leisten konnten. Vom Nacktbaden
im Sumpfloch, dem Rundgang durch sieben Kirchen, Kneipen und Hotels bis
zu den Fahrten in die nahen Hügel oder Bootsfahrten auf dem Po. Und
überall gab es die Mädchen zum Tanzen, Schäkern und Baden.
Poli diskutierte mit Pieretto: «Auch das Ausleben der Sinne, die
Sünde hat einen Wert. Wenige Menschen kennen die Grenzen ihrer Sinnlichkeit…
sie wissen, dass es ein Meer ist. Man braucht Mut, und man kann sich nur
befreien, indem man seinen Grund berührt…»
Im dritten Roman «Die einsamen Frauen» geht es um die versteckte
Einsamkeit der Frauen, die scheinbar das Leben geniessen konnten, doch
in den Tiefen ihres Innern unzufrieden waren. Der trügerische Zusammenhalt
unter den angeblichen Freundinnen gab keinen Halt um das Leben sinnvoll
zu bestehen. Feste Beziehungen, Kinder, Kirche oder Arbeit waren keine
Optionen. Das Auslöschen von sich selbst erschien als einzige Alternative.
Der Autor, Cesare Pavese (1908-1950)
«Er war manchmal sehr traurig; aber wir dachten, er werde von dieser
Traurigkeit genesen, wenn er sich dazu entschliesse, erwachsen zu werden.»
Aus dem Porträt von Natalia Ginzburg. Mit Lehrtätigkeit wie
journalistischer und redaktioneller Arbeit war Pavese ein minuziöser
Betrachter des Lebens anderer Menschen. Turin war seine Stadt. Er blieb
bis zu seinem Freitod ein Einzelgänger. Cesare Pavese beschrieb in
poetischer Sprache eine Gesellschaftsschicht, die sich in jenen Nachkriegsjahren
von Verantwortung und Gestaltungskraft fernzuhalten vermochte. Seinem
Werk liegt jedoch ein eigener Zauber inne, auch in der Übersetzung
von Maja Pflug.
Empfohlen
von Elisabeth Bardill
Tenna, 7. Juni 2021
C.F.
Ramuz, Derborence
Limmat Verlag
200 Seiten Fr. 28.00 Info/Bestellen
Derborence
Ein gewaltiger Bergsturz im Wallis begräbt in einer Nacht Weiden,
Tiere, Hütten und Menschen unter sich. Man hört in den Hütten
unterhalb Derborence die Käsezuber stürzen, die Bänke umfallen,
hört an den Türen unsichtbare Hände rütteln. Es bewegt
sich und grollt, es kracht und pfeift. Das geht in der Luft vor sich,
an der Erdoberfläche, unter dem Boden, als vermischten die Elemente
sich alle. Man unterscheidet nicht mehr, wo der Lärm herkommt und
wo er hingeht. Es ist, als wäre das Ende der Welt da. Dann kommt
die Luft allmählich zur Ruhe, ist wieder wie sonst. Man hört
noch dumpfe Verschiebungen, fernes Rutschen. Wie der Vorbau einer Befestigung
steht da eine Mauer vor ihnen, den Leuten von Zamperon… Dort oben
in Derborence sind doch der alte Séraphin und der jung verheiratete
Antoine. – Zwei Monate später taucht dieser abgemagert und
verwirrt unten im Dorf auf. Man kennt ihn vorerst nicht mehr. Es wird
gemunkelt, dass der Teufel seine Hand im Spiel hätte und die Toten
ohne christliche Bestattung als Gespenster durch die Umgebung irrten.
– Im Dorf unten erkennt Antoines Frau Therese, dass sie schwanger
ist und zugleich, dass ihr geliebter Mann verschüttet sei. Ungläubigkeit
und Bestürzung überwältigen sie gleichzeitig. Von allen
Seiten will man sie abschirmen vor der schrecklichen Botschaft, dass der
Berg eingestürzt ist. Doch dann kommt Antoine ins Dorf und ist mit
den Leuten zusammen. Er ist unruhig, lässt sich jedoch in die Gaststube
locken. Therese wartet auf ihn. In der Nacht verlässt er heimlich
die Schlafkammer und steigt wieder hoch ins zerklüftete Bergsturzgebiet,
wo er Séraphin aus den Steinmassen befreien will. Es kann nur die
wirklich grosse Liebe sein, die Therese zu ihrem Mann hinaufführt.
Niemand will sie auf dem gefahrvollen Gang begleiten.
Der berühmte verfilmte Roman von Charles Ferdinand Ramuz (1878-1947)
wurde neu vom Limmat Verlag aufgelegt, in der Übersetzung aus dem
Französischen von Hanno Helbling. Tatsache ist, dass im Sommer 1749
ein Teil einer Felswand am Hang des Diablerets sich gelöst und den
Talkessel zwischen Derborence und Godet mit Gesteinsmassen bedeckt hatte.
empfohlen von Elisabeth Bardill
Tenna, 17. Juni 2021
Elisabeth Bardill
Elisabeth Bardill-Meyer kam 1941 im aargauischen Auenstein zur
Welt und wuchs danach in Küsnacht am Zürichsee auf. Nach der
Ausbildung zur Kindergärtnerin an der Neuen Mädchenschule Bern
war sie in Bubendorf BL tätig. Nach der Heirat mit einem Bündner
Lehrer zog sie nach Tenna ins Safiental und später nach Schiers.
Sie hat vier Söhne und fünfzehn Enkel. Während vieler Jahre
unterrichtete sie im Bildungszentrum Palottis Schiers in den Fächern
Erziehungslehre, Werken und Gestalten. Seit 2004 lebt Elisabeth Bardill
mit ihrem Mann wieder in Tenna. Sie arbeitet freischaffend journalistisch
für Zeitschriften, Zeitungen wie auch regelmässig für die
„Terra Grischuna“, schreibt Bücher und gibt diese selber
unter „edition bardill“ heraus. Es handelt sich stets um Porträts
von Menschen in Graubünden.
Elisabeth Bardill, Männer und Frauen verwurzelt
in Graubünden
Edition Bardill
Fr. 30.00
bitte
mit Mail bestellen
Elisabeth Bardill, Bauernstolz und Bauerntum
Edition Bardill, 2008 Fr. 35.00 bitte mit Mail bestellen
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