Dr. med. Bruno Kesseli, Chefredaktor, hat diese Buchbesprechung in der Schweizerischen Aerztezeitung vom 7. Mai 2014 veröffentlicht.


Peter Hänni, Boarding Time
Cosmos Verlag
190 Seiten Fr. 34.00 bitte mit Mail bestellen

Männerfreundschaft im Härtetest

Fredi, Steini, Röbi, Caruso, Lüthi. Seit früher Jugend verbunden, pflegen die fünf mittlerweile nicht mehr ganz taufrischen Mittfünfziger mit einer Bike-Tour durch Südafrika ihre Männerfreundschaft, inszenieren diese auch. Im bürgerlichen Leben als Ökonom, Hotelier, Arzt, Anwalt und Banker solide Stützen der Gesellschaft, werden sie auf der Strasse zu «Cowboys on the steel horse» (Bon Jovi), die in einer grossartigen Landschaft den Geschmack von Freiheit und Abenteuer suchen. Auf chromblitzenden Harleys natürlich, man hat ja Stil.
Ihre Rechnung geht nicht auf. Zumindest nicht so, wie sich die Gruppe das vorgestellt hat – sonst hätten wir wohl keinen Krimi. Dass Unheil in der Luft liegt, wird gleich zu Beginn klar, auch wenn die Protagonisten davon nichts ahnen. Stress kommt bei ihnen erstmals auf, als Lüthi bei einem Zwischenhalt feststellt, dass er den Zündschlüssel zu seiner Maschine verloren hat. Allein kehrt er zum letzten Ausflugsziel zurück, um auf dem Parkplatz danach zu suchen. Dort nimmt das Unheil konkrete Formen an: Lüthi wird brutal niedergestochen und liegt fortan im Koma.
Ein tragischer, aber in einem Land mit bekannt hoher Kriminalitätsrate fast schon alltäglicher Raubüberfall? Nein, wie sich in der Folge zeigt. Das Ereignis steht offensichtlich in einem Zusammenhang mit der Vergewaltigung und Ermordung einer Angestellten des Hotels, in dem die Freunde für ein paar Tage logieren. Vieles deutet darauf hin, dass Lüthi der Täter war und nun Opfer eines Racheakts geworden ist.
Doch wieder ist es nicht ganz so einfach: Wie sich zeigt, muss der Kreis der Verdächtigen auf den Rest der Gruppe ausgeweitet werden. Unter diesen veränderten Vorzeichen entwickelt sich die Traumreise zum Alptraum. Zum Schluss wollen die Freizeitcowboys nur noch eines: ihren Stahlrössern die Sporen geben und so schnell wie möglich zurück in ihr gutbürgerliches Dasein flüchten …
Peter Hänni legt mit «Boarding Time» bereits seinen vierten Krimi innerhalb von sechs Jahren vor. Er stellt mit diesem Roman nicht nur seine erstaunliche Produktivität unter Beweis – schliesslich ist er hauptberuflich nach wie vor als Arzt tätig –, sondern auch seine beachtliche thematische und formale Bandbreite. Wurden seine früheren Werke von der Kritik unter anderem für ihre auf verschiedenen Zeitebenen angelegten, raffiniert ineinandergreifenden Erzählstrukturen gelobt, hat sich Hänni diesmal für eine einfache Form entschieden. Die Handlung verläuft weitgehend linear, unterbrochen lediglich durch eingeschobene Reflexionen aus den Aufzeichnungen eines der Protagonisten. Diese Anlage ermöglicht es ihm, zwischen der Aussen- und einer Innenperspektive zu
wechseln, was an sich nichts Neues ist. Dass er damit zusätzlich eine Hidden Agenda verfolgt, erschliesst sich der Leserschaft erst am Ende des Buchs.
Die strukturelle Einfachheit der Geschichte weckt Assoziationen an ein Road Movie, um es in der Filmterminologie auszudrücken. Sie ermöglicht die Konzentration auf das Wesentliche: Nicht um vordergründige Action geht es im Kern, sondern um die Inter-Aktion zwischen den Hauptfiguren und um deren Re-Aktion auf eine aussergewöhnliche Belastungssituation. Was passiert unter solchen Bedingungen mit einer vermeintlich unerschütterlichen Freundschaft? Welche Dynamiken entwickeln sich, wie reagieren die einzelnen Charaktere? Diesen Fragen geht der Roman nach. Die Antworten sind oft ernüchternd. Wir bekommen einiges zu sehen und zu hören, das uns nicht gefällt – möglicherweise auch, weil etliches davon in uns selbst schlummert. Die Sprache nimmt diese Stimmung auf. Mitunter kommt sie gewissermassen in Motorradkluft daher, breitbeinig, mit klobigen Lederstiefeln an den Füssen.
Auch die dramaturgische Umsetzung des Stoffs darf sich sehen lassen. Zeigen sich zunächst lediglich haarfeine Risse im Freundschaftsgefüge, beginnt schon bald der Putz zu bröckeln. Es lösen sich immer grössere Bruchstücke aus der Fassade, bis schliesslich die ganze Herrlichkeit in sich zusammenfällt. Parallel dazu dreht der Autor sachte, aber unerbittlich an der Spannungsschraube, führt die zunehmend verwirrende Frage nach dem Mörder und dessen Motiv einer verblüffenden, aber plausiblen Auflösung zu.
Um abschliessend nochmals die Biker-Metaphorik zu bemühen: Hänni nimmt uns auf eine spannende Tour mit. Selbst wenn er sich vielleicht mal verschaltet, den Motor unnötig aufheulen lässt oder in einer engen Kurve von der Ideallinie abkommt – alles Dinge, die im Grenzbereich auch Champions passieren –, kommen keine Zweifel daran auf, dass er sein Metier souverän beherrscht

Bruno Kesseli bkesseli@emh.ch


Bruno Kesseli
Dr. med., Chefredaktor Schweizerische Ärztezeitung


Peter Hänni, 1958 in Bern geboren, lebt in Lommiswil bei Solothurn. Kellner, Metzgergehilfe, Taxifahrer, Bauarbeiter, bevor er an der Uni Bern einige Semester Jus und schliesslich Medizin studierte. Heute ist er Facharzt für Hals-, Nasen-, Ohrenkrankheiten und für Hals- und Gesichtschirurgie.

 

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Juli 2010 Bernadette Reichlin, Wald
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Mai 2011: Martin Ebel, Zürich
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