Das WIR-System ist nach wie vor die weltweit grösste Komplementärwährung und konnte im letzten Jahr den 80-ten Geburtstag feiern. Anlässlich des Jubiläums ist ein locker und leicht lesbar geschriebenes Buch erschienen. Der Autor Hervé Dubois war fast zwanzig Jahre lang Kommunikationsleiter der WIR-Bank und hat in dieser Zeit die WIR Bank Genossenschaft, wie sie heute heisst, auch an vielen Konferenzen, Tagungen und Treffen zu Komplementärwährungen vertreten. Mit profundem Insiderwissen versucht er in diesem Werk die verschiedenen Facetten und Zusammenhänge des WIR-Systems im Laufe der langen Geschichte darzustellen. Er scheut sich auch nicht, kritische Punkte anzusprechen, wie etwa das Ende der ursprünglichen „Schwundgeld-Idee“ und die trotz Zinskritik eingeführte Verzinsung des Genossenschaftskapitals, die zu harten Diskussionen innerhalb der Genossenschaft führten. Schrittweise zeigt er die historische Entwicklung auf und es gelingt ihm auch die Gründe zu beleuchten und ein Verständnis für die jeweiligen Entscheidungen herbeizuführen. Ein Ereignis leuchtet aber auch ihm nicht ganz ein (und wir teilen seine Meinung): Der 1958 im Rahmen eines starken Wachstums getroffene Entscheid der Genossenschafter, sich nur noch auf Mittelstandsbetriebe (KMU) zu beschränken und unselbständig erwerbende Privatpersonen auszuschliessen. Denn bereits dem wichtigsten Gründer, Werner Zimmermann „…schwebte eben von Anfang an eine umfassende Lösung für das ganze Volk vor.“ (S.59). Hier hätte das WIR-System noch ein riesiges Potenzial, das aber bis heute noch nicht wieder aktiviert wurde. Auch das teilweise bis jetzt noch angekratzte Image des WIR-Systems, als „Geld auf dem man sitzen bleibt“ oder „System mit überhöhten Preisen“ wird im Buch auf seine Wurzeln zurückgeführt: Die Zeit der Hochkonjunktur bis 1972 hatte zu starken Auswüchsen und Missbrauch geführt, die bis heute als Gerüchte und Scheininformationen über den WIR kursieren. Die Probleme mit Menschen, die Regeln übertreten und skrupellos in die eigene Tasche wirtschaften kennen wir ja zur Genüge aus unserem „grossen Geldsystem“ Schweizerfranken. Im kleinen WIR-System werden aber die Missstände schneller untragbar, dafür kann die Gemeinschaft sie dann auch leichter korrigieren. Ein Kommentar in der Mitgliederzeitung „WIR-Pionier“ von 1948, der auf Seite 65 des Buches zitiert wird, ist heute noch so aktuell wie damals: „Wie in jeder Gemeinschaft, heisse sie, wie sie wolle, haben sich leider auch einige von dieser üblen Sorte in den Wirtschaftsring einzunisten verstanden. Auch ihre Zahl ist nicht gross und wäre verdaulich. Gross kann aber der Schaden sein, den sie anzurichten vermögen.“ Die noch schönere Bezeichnung für Leute „von dieser üblen Sorte“ lautete dann damals: „Krämerseelen-Kategorie der Super-Egoisten“! Die meisten der damaligen Probleme konnten aber bis Mitte der 70er Jahre mit Umsicht und wirksamen Regeländerungen zum Verschwinden gebracht werden. Ganz andere Probleme gilt es dagegen heute zu meistern: Die tiefen Zinsen des Normalgeldes machen dem bisher sehr attraktive WIR-Modell, das ohne Zinsen auskommt, sehr zu schaffen. Dadurch ist der natürliche Wettbewerbsvorteil eines zinslosen Systems stark reduziert und es müssen neue Wege gefunden werden, wie sich das System in seiner eigenen Funktion finanzieren kann. Ausserdem gibt es heute via Internet-basierte Innovationen immer mehr Möglichkeiten, geschäftliche Netzwerke aufzubauen, die auch den zweiten Vorteil des WIR als Marketinginstrument (S.35) zunehmend pulverisieren. Der WIR Umsatz hat in den letzten vier Jahren auch kontinuierlich weiter abgenommen und liegt per Ende 2013 bei 1.4 Mia. WIR-Franken (CHW). Der umsatzmässige Höhepunkt zwischen 1993-95 lag bei über 2.5 Mia. CHW, was bei Berücksichtigung der Inflation bedeutet, dass seither wieder eine Abnahme um mehr als die Hälfte stattgefunden hat. (Zu den Zahlen, die immer wieder im Text genannt werden, hätte man dem Buch als Pluspunkt doch einige Grafiken oder Tabellen gewünscht, die solche Entwicklungen leichter erkennbar machen würden.) Durch den
gleichzeitigen Aufbau des parallelen Schweizerfranken-Bankings der WIR-Bank
ab 1995 wurde dieser Abnahme-Effekt aber kompensiert und die WIR-Bank
insgesamt scheint auf dem aufsteigenden Ast zu sein. Für die dringende
Weiterentwicklung des WIR-Systems wurden aber dadurch die Alarmglocken
abgestellt und tiefergreifende Innovationen bisher vernachlässigt.
Fast am Schluss des Buches steht dazu ein Satz, der das heutige Dilemma
der WIR-Bank gut aufzeigt: „Potenzial ist vorhanden, es gibt immer
wieder neue Herausforderungen“ (S.140) und man möchte fast
weiterlesen „…die verhindern, dass angepackt und das Potenzial
endlich umgesetzt werden kann.“ Es wäre dem WIR-System zu wünschen,
dass stattdessen gesagt würde: „Sehr viel Potenzial ist vorhanden,
jetzt gilt es wieder – wie zu Beginn 1934 – radikal zu handeln
und es auch umzusetzen!“ Denn das WIR-System ist wirklich ein Schlüssel
zur Zukunft für uns alle; es beinhaltet insbesondere ein mehr denn
je aktuelles und heute dringend notwendiges Geld- und Gemeinschaftsverständnis.
Darum kann auch dem Schlussatz des Autors voll zugestimmt und das Buch
wirklich zur Lektüre jedem empfohlen werden, der an einer lebenswerten
Zukunft interessiert ist: „Aber noch wesentlicher als rein ökonomische
Betrachtung ist für mich, dass das WIR-Gedankengut eine echte Chance
zur Lösung des grundlegenden Konflikts unserer Gesellschaft darstellt,
die sich im Spannungsfeld zwischen Gier und Gewissen völlig verirrt
hat.“
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