Die Journalistin Elisabeth Bardill-Meyer aus Tenna im Safiental hat mir die Erlaubnis gegeben, ihre Buchbesprechungen hier abzudrucken.

Drei Besprechungen für Sie:
Leta Semadeni, Amur, grosser Fluss
Hanna Steinegger, Theres, die Tochter der Dienstmagd
Kurt Stadelmann, Sehr geehrter Herr!


Leta Semadeni, Amur, grosser Fuss
Atlantis Verlag
192 Seiten Fr. 27.50 Info/bestellen

Amur, grosser Fluss

Olga erlebte mit Feingefühl die Landschaft um ihr Dorf herum oder den Blick aus dem Fenster eines Hochhauses in die nächtliche Stadt. Mit Radu an entlegene Orte zu reisen oder zusammen im Gras zu sitzen, auf die zackigen Berge zu blicken oder die Nachbarin Elsa zum Essen einzuladen sind eingeschobene Teile in der Geschichte. Was diese für eine Bewandtnis mit dem Tiger und dem Fluss Amur haben, erfährt man ansatzweise im poetisch gehaltenen Text. Das Leben von Olga, Radu, Elsa oder der Katze ist fliessend und nicht mit Worten festzuhalten ist. Besondere Augenblicke sind treffend beschrieben und schon vollzieht sich der Wechsel ins nächste Kapitel. Der Lebensfluss in der dahineilenden Zeit dringt dabei auch ins Bewusstsein der Leserinnen und Leser. Die Autorin erzählt in der Vergangenheitsform. Erinnerungen, Träume und Gedanken bilden ein Mosaik.
Es geht in diesem Werk um die Erforschung des inneren Kosmos, um den Ursprung von Liebe, Trauer, Einsamkeit, Kindheitserinnerungen, Verlustängste, Alltagsfreuden und das Warten… «Sie verliess ihren Platz am Fenster, füllte die Fruchtschale im Eingang mit frischen Äpfeln und begann, wie jeden Abend, den Tisch für zwei zu decken. Bald würde Radu eintreffen, er hatte versprochen, spätestens um acht da zu sein.»

Leta Semadeni
Es ist der zweite Roman nach «Tamangur» der Engadiner Autorin. Sie studierte Sprachen, unterrichtete an verschiedenen Schulen in Zürich und Zuoz mit Arbeitsaufenthalten in Lateinamerika, Paris, Berlin und New York. Heute lebt und arbeitet sie in Lavin. Vallader und Deutsch sind die Sprachen, in denen sie sich bewegt und wohlfühlt. – Die erste Buchvorstellung des neuen Romans fand im Literaturhaus Zürich statt. Dort las die Autorin in ihrer zurückhaltenden Art mehrere Passagen vor und beantwortete die herausfordernden Fragen von Rico Valär, der im Fachgebiet romanische Literatur und Kultur tätig ist. Die Zeit zum Schreiben sei für sie, die Autorin, die Nacht. Die Texte würden am Tag überarbeitet. Sie schreibe intuitiv, ohne eigentlichen Plan. Sie sammle Material, lege es aus wie einen Flickenteppich um damit eine Geschichte zusammenzufügen. Es sei ähnlich wie im Brotteig zu wühlen. Manchmal würden die Gedanken wilde Sprünge machen. So zeigt sich die Richtung an, wohin es geht. Leta Semadeni denkt bei ihrer Arbeit mit den erdachten Puzzlesteinen an Architektur. Sie erlebt Glücksmomente in der Stille und fühlt sich wie in einer Einsamkeitskapsel. Unter ihren Texten gibt es Bezüge. So ist auch der Buchtitel sinnbildlich zu verstehen. Der Amur ist in Wirklichkeit Grenzfluss zwischen Russland und China. Amur steht für die Liebe, grosser Fluss für den Lebenslauf im Zeitenfluss.– Olga gelang es nicht, eine wuchtig, schmerzlich, glückliche Liebe festzuhalten.

Empfohlen von Elisabeth Bardill
Tenna, 8. März 2022


Hanna Steinegger, Theres, die Tochter der Dienstmagd
Th. Gut Verlag
240 Seiten Fr. 29.00 bitte mit Mail bestellen

Theres – die Tochter der Dienstmagd


"Sekundenlang bleibt sein Blick an Theres hängen, die in schneeweisser Schürze über dem schwarzen Rock und blauweiss gestreifter Bluse serviert und sich anmutig um den Tisch herum bewegt. Das kastanienbraune, üppige Haar hat sie zu einer Gretchenfrisur hochgesteckt. Heinrich gerät gedanklich ins Schwärmen: Hat sich richtig gemausert die Kleine. Ist erwachsen geworden. Schlank wie eine junge Birke. Das Haar müsste man offen sehen.»

Die Autorin Hanna Steinegger schrieb einen bewegenden Beziehungsroman. Protagonistin ist Erna Schläpfer, die mit 15 Jahren eine Stelle in gutem Haus in Küsnacht am Zürichsee antritt. Obschon die spannende Geschichte um die Jahrhundertwende vor rund hundert Jahren angelegt ist, entbehrt sie nicht der Aktualität in der heutigen Gesellschaft. Die dienende junge Frau verübt eine stärkere Anziehung auf den Hausherrn als seine eigene Frau, an die er sich längst gewöhnt hat. Im Rahmen der Geschehnisse des Ersten Weltkrieges und der Zeit danach entwickelt sich Theres zu einer selbstbewussten Frau, die Schweres ertragen, zu Fehler stehen und das Leben ihrer Anbefohlenen mitgestalten kann. Ihr redlich tatkräftiger Einfluss auf Männer im Umfeld verhilft ihr zu Achtung und Ansehen auf dem Schläpferhof. – Der Text ist mehrheitlich in Gesprächsform verfasst. «Eigenes Mehl und eigene Kartoffeln» sagt Theres stolz. Andächtig nickt Paula. «Gottesgeschenke.» Alltag, Politik, Liebe, Schmerz, Anstand und Notlage… kommen im Buch vor und führen zu einem versöhnlichen Schlusskapitel. An dieses könnte man, durch Lesen angeregt, mit der eigenen Fantasie weiterfahren.

Empfohlen von Elisabeth Bardill
Tenna 31. März 2022

Hanna Steinegger, 1944 in Horgen geboren und in Wädenswil aufgewachsen, ist verheiratet, hat zwei Söhne und fünf Enkelkinder. Sie lebt und schreibt in Schönenberg oberhalb des Zürichsees. Von Hanna Steinegger sind im Th. Gut Verlag bereits die historischen Romane «Kein gewöhnliches Leben», «Agnes und Rudolf», «Der unheilvolle Kuss» und zuletzt «Die Frauen von Zieblingerhaus» erschienen.



Kurt Stadelmann, "Sehr geehrter Herr! Schwer erstaunt über diese Zeilen» Post für Hans Huber, Hafner in Huttwil (1920er bis 1940er Jahre)
Chronos Verlag
140 Seiten, 40 Abb. Fr. 28.00 bitte mit Mail bestellen

«Sehr geehrter Herr!» Post für Hans Huber


Im Nachlass von Hans Huber, Huttwil, fanden sich Briefe, Postkarten und Ansichtskarten, die wohl nicht zufällig aufbewahrt wurden (1920er bis 1940er Jahre). Sie dokumentieren den Beginn seiner Lehre zum Mechaniker, die mehrwöchige, krankheitsbedingte Stationierung im Spital und den darauffolgenden Kuraufenthalt in Heiligenschwendi. Zudem fanden sich Briefe aus späteren Jahren, die nachzeichnen, wie sich zwei Menschen kennenlernen um dann den Bund fürs Leben zu schliessen. Wir erhalten Einblick in den Alltag eines jungen Handwerkers und seinen Kosmos um Huttwil. Es war eine Welt ohne die modernen Medien, mit einem anderen Rhythmus aber mit den gleichen Sorgen und Problemen wie heute. Vater und Mutter und die drei jüngeren Geschwister haben Hans während seiner Krankheitsaufenthalte fürsorglich und liebevoll begleitet. Aus den Briefen der Mutter schwingen auch Ratschläge und Verhaltensrezepte mit. Sie ermahnte ihren Sohn auch stets zum Schreiben, an Verwandte und Leute aus dem Bekanntenkreis. Die Mutter behielt die Kontrolle über Taschentücher und Leibwäsche ihres Sohnes. Hans Huber blieb als Hafner dem elterlichen Betrieb treu. Er fand Jahre nach dem Tod der Mutter seine Lebensgefährtin. In Briefform warb er um Berty Zehnder und legte ihr als reifer Mann auch seine Vorstellungen für eine gemeinsame Zukunft dar. Die Leserschaft erinnert sich vielleicht an mündliche oder schriftlich überlieferte Zeichen der eigenen Vorfahren, als die Rollenverteilung der Geschlechter durch Brauchtum definiert wurde. Hans Huber war Schütze und Sänger in Huttwil.

Empfohlen von Elisabeth Bardill
Tenna, 28. März 2022



Elisabeth Bardill



Elisabeth Bardill-Meyer kam 1941 im aargauischen Auenstein zur Welt und wuchs danach in Küsnacht am Zürichsee auf. Nach der Ausbildung zur Kindergärtnerin an der Neuen Mädchenschule Bern war sie in Bubendorf BL tätig. Nach der Heirat mit einem Bündner Lehrer zog sie nach Tenna ins Safiental und später nach Schiers. Sie hat vier Söhne und fünfzehn Enkel. Während vieler Jahre unterrichtete sie im Bildungszentrum Palottis Schiers in den Fächern Erziehungslehre, Werken und Gestalten. Seit 2004 lebt Elisabeth Bardill mit ihrem Mann wieder in Tenna. Sie arbeitet freischaffend journalistisch für Zeitschriften, Zeitungen wie auch regelmässig für die „Terra Grischuna“, schreibt Bücher und gibt diese selber unter „edition bardill“ heraus. Es handelt sich stets um Porträts von Menschen in Graubünden.



Elisabeth Bardill, Männer und Frauen verwurzelt in Graubünden

Edition Bardill
Fr. 30.00 bitte mit Mail bestellen



Elisabeth Bardill, Bauernstolz und Bauerntum
Edition Bardill, 2008 Fr. 35.00 bitte mit Mail bestellen

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