Peter Wehrli, Oekonom und ein Freund aus meiner Jugendzeit in Bern, hat mir diese Besprechung zugesandt. Ganz herzlichen Dank!
Tony Webster ist pensioniert und erinnert sich an sein bisheriges Leben. Lange verweilt er bei seiner Schulzeit. Sie war glücklich, vor allem dank seinen drei guten Freunden Alex, Colin und Adrian. Intellektuell überragte Adrian alle. Als Einziger von ihnen ergatterte er ein Stipendium für die Eliteuniversität Cambridge. Tony schaffte es an die Uni Bristol, wo er Geschichte studierte. An der Universität lernte Tony die Spanisch-Studentin Veronica kennen (mit vollem Namen: «Veronica Mary Elizabeth Ford»). Sie wurde seine Freundin, blieb aber reserviert und rätselhaft und gab ihm zu verstehen, dass er eigentlich nicht ihrem Idealbild von einem Partner entspreche. Überdeutlich wurde dies bei einem Besuch im Haus ihrer Familie. Diese gehörte einer höheren Gesellschaftsschicht an, was Veronicas Vater und ihr Bruder Tony spüren liessen. Die Mutter hingegen war herzlich zu Tony und warnte ihn vor ihrer eigenen Tochter! Nach einem Jahr beendete Tony die unbefriedigende Beziehung. Etwas später erhielt er einen bizarren Brief seines Freunds Adrian, in dem ihn dieser um Erlaubnis bat mit seiner Ex-Freundin Veronica ausgehen zu dürfen. «Jetzt hat sie also den Aufstieg von einem Bristol- zu einem Cambridge-Absolventen geschafft», dachte Tony, und sandte Adrian eine vulgäre und grobe Antwort mit der er den beiden zynisch viel Glück wünschte. Danach setzte er sich für ein halbes Jahr in die USA ab, die er kreuz und quer durchstreifte, zeitweise in der Begleitung von Annie, einer erfreulichen Amerikanerin, die ihn Victoria vergessen liess. Nach seiner Rückkehr erlitt er einen Schock: Seine Mutter überreichte ihm einen Brief von Alex, der ihm mitteilte, dass Adrian sich das Leben genommen hatte. Adrian hinterliess einen Abschiedsbrief in dem er seine Tat begründete: Das Leben werde einem geschenkt, ohne dass man gefragt werde, und wenn man es nur noch öde finde, dürfe man es auch zurückgeben. Die drei verbliebenen Freunde bewunderten Adrian für seinen konsequenten Entscheid. Tony musste sich eingestehen, dass er im Vergleich zu Adrian ein Spiessbürger sei, der sich bloss durch das Leben durchwurstle. Etwas später lernte Tony Margaret kennen, das pure Gegenteil von Veronica: humorvoll, kameradschaftlich, immer offen und mit einer klaren Linie. Sie bekamen eine Tochter, Susie. Die Beziehung begann aber zu stagnieren; Margaret liess sich nach zwölf Jahren wegen eines anderen Mannes scheiden. Sie heiratete ihn, aber dieser verliess sie wegen einer jüngeren Frau. Tony und Margaret blieben sich verbunden, gingen ab und zu zusammen aus. Margaret brachte gar den Gedanken ins Spiel wieder zusammenzuziehen. Tony konnte sich dafür aber nicht erwärmen; er hatte es sich in seinem Junggesellenleben inzwischen bequem eingerichtet. Aus heiterem Himmel erreichte dann Tony der Brief einer Anwaltskanzlei, des Inhalts Frau Sarah Ford, die Mutter von Veronica, sei verstorben und habe ihm 500 Pfund sowie das Tagebuch von Adrian vermacht. Vom Tagebuch erhoffte sich Tony viel: einen Einblick in das Wesen seines toten Freundes. Der Haken: es befand sich im Besitze von Veronica, zu der er längst keinen Kontakt mehr hatte. Mühevoll gelangte er an ihre Adresse und forderte sie auf, ihm das Tagebuch zu übergeben. Sie stellte sich widerspenstig an und Tony leitete juristische Schritte ein um sie wegen Diebstahls zu verklagen. Veronica liess ihm darauf über die Anwälte die Photokopie einer einzelnen Seite aus Adrians Tagebuch zukommen. Es enthielt eine für Tony unverständliche mathematische Formel. Er bombardierte Veronica mit Emails, bis sie eines Tages ein persönliches Treffen in London vorschlug. Sie brachte aber nicht Adrians Tagebuch mit, sondern behauptete sie habe es verbrannt. Begründung: Es gehöre sich nicht, anderer Leute Tagebuch zu lesen (obwohl sie selber und ihre Mutter es offenkundig getan hatten). Anstelle des Tagebuchs gab sie Tony einen verschlossenen Briefumschlag. Als er ihn zuhause öffnete enthielt er eine Kopie seines seinerzeitigen, hässlichen Gratulationsschreibens an Adrian. Tony schämte sich zutiefst für seinen Ausraster und entschuldigte sich mit einem Mail dafür. Ihre Antwort: «Du verstehst es einfach nicht. Du hast es nie verstanden». Nach einigen weiteren fruchtlosen Treffen forderte Veronica Tony auf, bei einer abgelegenen Londoner U-Bahn-Station auf sie zu warten. Von dort fuhr sie ihn in ihrem Auto zu einer heruntergekommenen Strasse. Hier kam ihnen eine kleine Gruppe schwer behinderter Menschen mit ihren Betreuern entgegen. Diese Menschen kannten offenkundig Veronica und freuten sich sie zu sehen. Einer wollte ins Pub gehen, aber die anderen sagten ihm Freitag sei der Pub-Abend. Tony fragte Veronica, was dies alles zu bedeuten habe. Ihre Antwort war: «Du verstehst es einfach nicht. Du hast es nie verstanden». Tony liess der Vorfall keine Ruhe. Er ging am Freitag, ohne Veronica, ins Pub. Die seltsame Gruppe traf tatsächlich ein und, nachdem er mit einem dieser Menschen einen Blick gewechselt hatte, fiel es Tony wie Schuppen von den Augen. Alles war von diesem Moment an sonnenklar und die Auflösung des Rätsels war fürchterlich. Ich verrate den Schluss hier nicht. Er ist meisterhaft; jeder Thriller-Autor würde dafür gelobt. Darum nur meine Empfehlung: Kaufen (bei Therese) und lesen. Julian Barnes
ist generell ein sicherer Wert; ich habe – vor langer Zeit –
zwei oder drei andere Bücher von ihm gelesen. Er ist keiner jener
Autoren, die im Grunde immer dieselbe Geschichte erzählen. Das lässt
sich schon an den Titeln anderer Bücher von ihm erahnen: «Flauberts
Papagei», «Der Mann im roten Rock», «Der Lärm
der Zeit», «Kunst sehen». Er schreibt auch Thriller
(unter dem Pseudonym Dan Kavanagh, dem Namen seiner verstorbenen Frau).
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