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Die
Journalistin Elisabeth Bardill-Meyer aus Tenna im Safiental hat mir die
Erlaubnis gegeben, ihre Buchbesprechungen hier abzudrucken. Ganz herzlichen
Dank!
Zwei Besprechungungen für Sie:
Angelika Overath, Unschärfen der Liebe
Selma Mahlknecht, Fö Zernezer Feuer
Angelika Overath, Unschärfen der Liebe
Luchterhand Verlag
224 Seiten Fr. 27.50 Info/bestellen
Mit der Eisenbahn von Chur nach Istanbul
Der neue Roman von Angelika Overath beschreibt eine west-östliche
Fahrt durch den Balkan. Baran Anatol Chronas verabschiedete sich am Churer
Bahnhof von Alfa, seiner Freundin, die mit dem Kind auf dem Bahnsteig
stand. „Ihre Wangen hatten diesen Glanz, den sie haben konnten,
wenn sie erregt war. Granatapfelblüten, dachte Baran.“ Er begann
seine lange Reise auf den Schienen zu seinem Freund Cla in Istanbul. Sie,
eine leidenschaftliche Kletterin, er ein Gelehrter mit Wurzeln im Engadin.
Während dieser Tage und Nächte in der Eisenbahn erlebte Baran
eine Fülle von Augenblicken, Ereignissen und Träumen. Er reservierte
nie einen Platz, reiste gerne im Speisewagen, die meist leer waren. Seine
Gedanken liess er schweifen, beobachtete Mitreisende mehr oder weiniger
aufmerksam und betrachtete die vorbeigleitende Landschaft. Stimmungen
weckten Erinnerungen oder richteten sich auf seinen Wissensvorrat über
Städte, Personen wie über weit zurückliegende Geschichten.
Als Sohn einer Fabrikarbeiterfamilie mit türkisch-griechischen Wurzeln
war er in Düsseldorf in einfachen Verhältnissen aufgewachsen.
Bruchstücke aus seiner Kindheit beschäftigten ihn bewusst und
unbewusst und verknüpften sich mit historischen Fakten. Die Reise
führte mit Unterbrüchen auch durch die serbische Stadt Nis,
in welcher Kaiser Konstantin der Grosse geboren wurde. Dieser lebte bis
ins Jahr 337, sein Geburtsjahr ist unbekannt. Die Stadt Konstantinopel,
heute Istanbul, wurde nach ihm benannt. Baran wusste darum und fühlte
sich Konstantin irgendwie verbunden. Dann wieder kamen Landschaften und
Bahnhöfe, der Ein- und Ausstieg unterschiedlicher Personen auf Regionalstrecken,
die kurz sein Interesse weckten. Das Reisen an sich ist in seiner Vielfältigkeit
so geschildert, dass man als lesende Person bei Baran in der Eisenbahn
sitzt, bis zum Ziel, wo er vor Clas Wohnung stand. „Endlich griff
der Schlüssel im Schloss. Er drehte ihn um. Er öffnete die Tür.“
Der Protagonist ist ein Zug- und Zeitreisender, schwankend und zweifelnd
zwischen seinen beiden Geliebten, dem Freund und der Freundin. Die Autorin
Angelika Overath hat mit Einfühlung und dank eigener Reiseerfahrungen
über die Unschärfen der Liebe dieses Buch geschrieben. Denkend,
fühlend und sehnend, allein mit öffentlichen Verkehrsmitteln
zu reisen, ist etwas Besonderes und führt zur Selbstfindung. –
Overath hat eigene Gespräche, Reisen und Lektüren in die Texte
einfliessen lassen. Zu erwähnen sind ihre poetisch gestalteten Passagen
der Landschaften, der scheinbar bedeutungslosen Einzelheiten des Menschlichen,
eben wie hier, die Unschärfen der Liebe.
Die Autorin, geb. 1957 in Karlsruhe, lebt seit 2007 in Sent. Die promovierte
Germanistin ist Schriftstellerin, Reporterin, Essayistin und unterrichtet
an verschiedenen Bildungsstätten innerhalb der Schweiz und im Ausland.
Mit ihrem Partner Manfred Koch gründete sie 2021 die Schreibschule
Sent.
Empfohlen von Elisabeth Bardill
Tenna, den 15. Mai 2023
Selma
Mahlknecht, Fö Zernezer Feuer. Eine Familiensaga
Raetia Verlag
123 Seiten Fr. 27.50 Info/bestellen
Fö
– Zernezer Feuer
«Als sässen sie um ein Feuer, das seit Jahrtausenden brennt.
Als könnten sie mit einem Mal durch die Zeiten blicken. Wie Generationen
um Generationen dasassen, ratlos, bekümmert, in den Augen die Reflexe
der fliegenden Funken.» Nach dem Schulabschluss bangen Jugendliche
vor dem Auseinandergehen, vor der Veränderung. Gleichzeitig sind
sie beseelt von einem besseren Leben, einer besseren Welt. Lorena spürt
eine Erleichterung darüber, dass sie nicht zu den Ersten und nicht
zu den Letzten gehört. Sie steht mittendrin im Zeitenlauf. –
Im Jahr 1872 wurde das Dorf Zernez durch einen Brand zerstört. Von
145 Häusern blieben 27 unversehrt. Die Autorin Selma Mahlknecht schuf
ein literarisches Werk, das in jener Zeit beginnt und als Familiensaga
durch fünf Generationen bis in die Gegenwart eine faszinierende Wirkung
auf die Leserschaft ausübt. Die Erinnerung geht zurück an das
gefrorene Wasser in der Waschschüssel, an die Eisblumen am Fenster,
an Nadel und Faden zum Ausbessern der Kleider und wie man im kargen arbeitsreichen
Leben manchmal in sich hineinweinen muss. Das Weinen kann laut oder leise
sein. Doch wenn die Liebe kommt, wird alles leichter.
Das Leben und Sterben ist in verschiedenen Facetten aufgezeichnet und
hat mit dem Zeitgeschehen zu tun. Bahn- und Kraftwerkbauten verändern
die Gesellschaft. Es kommen andere Menschen ins Tal, zuerst die Bauarbeiter,
dann die Feriengäste. Es werden Zimmer und Wohnungen vermietet, später
Hotels gebaut. Die Heimkehrerin Ilda aus Genf setzt ihre Ideen und Erfahrungen
energisch durch und entpuppt sich als Pionierin im Tourismus. Das Sinnbild
des Feuers zieht sich durch die hundertfünfzigjährige Geschichte.
Das Feuer lodert immer wieder einmal in der Runde von Jugendlichen im
Umfeld des Dorfes auf. – Die Figuren in der Saga sind erdacht. Doch
es könnte sich in der Generationenfolge der Familien alles so ereignet
haben. Zeitgeist und Atmosphäre werden nacherlebt. Der Autorin gelang
durch die Kunst der Reduktion ein Werk, das Eigenes anrührt wie auch
unerschöpflichen Gesprächsstoff vermittelt.
Empfohlen von Elisabeth Bardill
Tenna, 7. Mai 2023
Elisabeth Bardill
Elisabeth Bardill-Meyer kam 1941 im aargauischen Auenstein zur
Welt und wuchs danach in Küsnacht am Zürichsee auf. Nach der
Ausbildung zur Kindergärtnerin an der Neuen Mädchenschule Bern
war sie in Bubendorf BL tätig. Nach der Heirat mit einem Bündner
Lehrer zog sie nach Tenna ins Safiental und später nach Schiers.
Sie hat vier Söhne und fünfzehn Enkel. Während vieler Jahre
unterrichtete sie im Bildungszentrum Palottis Schiers in den Fächern
Erziehungslehre, Werken und Gestalten. Seit 2004 lebt Elisabeth Bardill
mit ihrem Mann wieder in Tenna. Sie arbeitet freischaffend journalistisch
für Zeitschriften, Zeitungen wie auch regelmässig für die
„Terra Grischuna“, schreibt Bücher und gibt diese selber
unter „edition bardill“ heraus. Es handelt sich stets um Porträts
von Menschen in Graubünden.
Elisabeth Bardill, Männer und Frauen verwurzelt
in Graubünden
Edition Bardill
Fr. 30.00
bitte
mit Mail bestellen
Elisabeth Bardill, Bauernstolz und Bauerntum
Edition Bardill, 2008 Fr. 35.00 bitte mit Mail bestellen
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