Die Journalistin Elisabeth Bardill-Meyer aus Tenna im Safiental hat mir die Erlaubnis gegeben, ihre Buchbesprechungen hier abzudrucken. Ganz herzlichen Dank!


Besprechungen für Sie:

Micha Lewinsky, Sobald wir angekommen sind
Mariann Bühler, Verschiebung im Gestein


Micha Lewinsky, Sobald wir angekommen sind
Diogenes Verlag Fr. 34.00
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Sobald wir angekommen sind

Balanceakt zwischen Beziehungen. Der Roman von Micha Lewinsky beinhaltet brennende Themen der Gegenwart. Die Heimatlosigkeit innerhalb der Familie wie im angestammten Volk mit Traditionen droht Ben Oppenheim aus der Bahn zu werfen. Spannungen und Ängste vor Krieg, Verwüstung, Ausgrenzung und Pogromen sind in die Gegenwart zurückgekehrt durch tragische Vorfälle gegen Menschen des jüdischen Glaubens. Der von seiner Familie getrenntlebende Ben und seine Ex-Frau Marina spüren allerdings beide, dass durch den Krieg im Nahen Osten der uralte Hass gegen Juden neu aufflammt. Beide Elternteile sind getrieben vom Fluchtinstinkt. Sie reisen, vereint als Familie, per Flug von einem Tag auf den andern nach Brasilien. Sie wollen ihre beiden Kinder schützen, denn sie fürchten sich zusätzlich vor einer drohenden Atomkatastrophe. Die Flucht ist keine Sache der Religion. Ben ist nicht gläubig, es geht um Zugehörigkeit. Seine neue Freundin lässt er in Zürich im Ungewissen, denn er fühlt sich als Vater seinen Kindern Rosa und Moritz verpflichtet. Kennt er seine Familie überhaupt richtig? Ben hatte nie eine Frau gesucht, die bereit war, sich mit ihm niederzulassen, sondern eine, die bereit war, mit ihm zu fliehen. Marina hatte von Anfang an den Eindruck gemacht, als wäre sie geboren für diesen Moment. Doch zu einer Art Glück, wie Ben es immer sucht, würde er auch bei Julia in Zürich nicht finden. Er fragt sich, wo seine Kinder sich eines Tages heimisch fühlen könnten.
Micha Lewinsky, geboren 1972, ist ein gefeierter Drehbuchautor und Filmregisseur. Sein Debutroman schildert die Phase eines verunsicherten Mannes. Treffend geschildert sind die wechselnden Gefühlslagen und Alltäglichkeiten, seine vermeintliche Unfähigkeit in der Liebe. Bens Leben ist voller Brüche. Der Mann steht hilflos im Zentrum seiner eigenen Geschichte, die im Buch unvermittelt aufhört. Die Geschichte kann weitergesponnen, ja mit den Zeiterscheinungen verknüpft werden, wo Flucht und flüchtiger Aufenthalt realistisch sind.

Empfohlen von Elisabeth Bardill

Tenna, den 29. August 2024

Mariann Bühler, Verschiebung im Gestein
Atlantis Verlag Fr. 30.00
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Verschiebung im Gestein

Eine Bäckerei, ein Sommerhaus in den Bergen und ein Bauernhof befinden sich in derselben Region. Sie bilden das Gerüst im Debutroman von Mariann Bühler. Die Stätten werden so beschrieben, dass man glaubt, dort zu sein. Die einzelnen Personen haben vermeintlich nichts miteinander zu tun, obschon sie sich begegnen. Das Tal ist eng. Platz darin hat eine einzige Strasse, darauf aufgefädelt ein paar kleine Dörfer. Kleine Wege versorgen die Hänge mit dem nötigen Zugang. Viele davon veröden, wachsen zu. Dableiben, fortgehen, zurückkommen um wieder fortzugehen bewegt die Menschen im Tal. Sie ringen und suchen einsam nach ihrem Platz. Elisabeth hielt aus und blieb, Ruth suchte auf ihre Art nach einer Bleibe, Alois fühlte sich als Bauer auf einmal nicht mehr sicher. «Alois tat, was getan werden musste. Füllte die Waschmaschine. Rüstete das Futter. Molk die Kühe wortlos und automatisch. Pumpte Reinigungsmittel durch die Melkmaschine. Schob Fladen vom Läger. Verteilte Strohhäcksel. Kehrte das Tenn. Wollte dieses und jenes reparieren. Was er anfasste, fiel in seinen Händen weiter auseinander.» Er stellte sich auf einmal vor, was geschehen würde, wenn er nicht mehr auf dem Hof wäre. – Wie unter hohem Druck im Gestein verschoben sich bei den Menschen die Kräfte in eine neue Richtung.

Die Schweizer Autorin Mariann Bühler, geboren 1982, hat die Gabe, auf verschlungenen Wegen Spannung aufzubauen und zu halten. Treffend beschreibt sie Einzelheiten die sich zum geheimnisvollen Puzzle ergänzen lassen. Die Lücken zwischen den Teilen fügen sich am Schluss der Lektüre zum Ganzen. Die Autorin muss nicht alles benennen, sondern lässt Raum für die eigene Erkenntnis. Die feinfühlige Art zu erzählen, anzudeuten oder zu schweigen macht diese Geschichte zum Kunstwerk.

Empfohlen von Elisabeth Bardill
Tenna, 8. September 2024




Elisabeth Bardill

Elisabeth Bardill-Meyer kam 1941 im aargauischen Auenstein zur Welt und wuchs danach in Küsnacht am Zürichsee auf. Nach der Ausbildung zur Kindergärtnerin an der Neuen Mädchenschule Bern war sie in Bubendorf BL tätig. Nach der Heirat mit einem Bündner Lehrer zog sie nach Tenna ins Safiental und später nach Schiers. Sie hat vier Söhne und fünfzehn Enkel. Während vieler Jahre unterrichtete sie im Bildungszentrum Palottis Schiers in den Fächern Erziehungslehre, Werken und Gestalten. Seit 2004 lebt Elisabeth Bardill mit ihrem Mann wieder in Tenna. Sie arbeitet freischaffend journalistisch für Zeitschriften, Zeitungen wie auch regelmässig für die „Terra Grischuna“, schreibt Bücher und gibt diese selber unter „edition bardill“ heraus. Es handelt sich stets um Porträts von Menschen in Graubünden.



Elisabeth Bardill, Männer und Frauen verwurzelt in Graubünden

Edition Bardill
Fr. 30.00 bitte mit Mail bestellen



Elisabeth Bardill, Bauernstolz und Bauerntum
Edition Bardill, 2008 Fr. 35.00 bitte mit Mail bestellen

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