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Die
Journalistin Elisabeth Bardill-Meyer aus Tenna im Safiental hat mir die
Erlaubnis gegeben, ihre Buchbesprechungen hier abzudrucken. Ganz herzlichen
Dank!
Besprechungen für Sie:
Vincenzo Todisco, der Geschichtenabnehmer
Marco Frigg, Adidas und Zoccoli
Regula Caviezel, Am Fels
Vincenzo Todisco, der Geschichtenabnehmer
Atlantis Verlag Fr. 33.00
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Über die Kraft des Erzählens
Ein kleines Dorf in den Hügeln des Apennins lässt der Autor
Vincenzo Todisco in der Erinnerung aufleben. Es war die Zeit nach dem
Zweiten Weltkrieg in Italien. Gruma war das Dorf mit einer Fülle
von Leben und Menschlichkeit.
Rund fünfzig Häuser in Gruma platzten alle aus den Nähten.
Es gab den Kindergarten, die Schule, einen Postschalter, einen Friseursalon
und die Osteria. Der Wirt Beppo führte dort in einer Ecke ein winziges
Lebensmittelgeschäft. Das Wichtigste konnte man hier kaufen, alles
andere holte man sich bei den Bauern, oder man ging nach San Giorgio.
Walter, genannt Neri, weil er schwarze Haare hatte, wuchs bei seiner Tante
Filina auf. Seine Mutter hatte unter ihren Geschwistern eine Nebenrolle,
da sie den Knaben unehelich zur Welt gebracht hatte. Nach einem traditionellen
Ritus gab es in Gruma einen Geschichtenabnehmer für die Sterbenden.
Olmo, der dieses Amt innehatte, war schon lange mehr der Flasche als den
Sterbenden zugetan. Man brauchte einen Nachfolger. Neri war von Geburt
auf von seiner Tante vergöttert und für dieses Amt bestimmt
worden. Er war sieben Jahre alt, als ihn seine Tante an der Hand zum uralten
Gino ans Sterbebett führte. Er müsse jetzt einspringen, Geduld
aufbringen, am Bettrand ausharren, bis sich bei Gino die Schleusen der
Erinnerungen beim Erzählen öffnen würden. Nur so könne
Gino in Frieden sterben. Nach einer ungeheuerlichen Geschichte hatte Neri
die Feuerprobe bestanden. Fortan wurde der Junge in die Häuser geholt,
in denen jemand im Sterben lag. Niemandem durfte er erzählen, was
für Bekenntnisse und Geschehnisse er vernommen hatte. Er erfuhr schon
während seiner Jugendjahre den ganzen Reichtum von Menschlichkeit.
Die Sterbenden schauten beim Erzählen in ihr Leben zurück. Neri
kannte den Tod. Er genoss deshalb besondere Beachtung unter den Dorfbewohnern.
Von La Fran, der Tochter aus der Osteria erfuhr er besondere Zuneigung.
Sie beschützte ihn vor Gefahren. Neri trug die Last der Geschichten
in seinem Kopf. Er war bis zur Entzauberung der Geheimnisträger des
Dorfes.
Gruma war für die Kinder, Neri inbegriffen, eine Art Paradies, in
der die Zeit breit wurde. Der Wandel blieb nicht aus. Ein Unbekannter
kam ins Dorf, spielte sich als Freund von Neri auf, stahl sich in die
Sterbezimmer hinein und alles veränderte sich durch Verrat. Neri
musste das Dorf verlassen, kam in die Schweiz, wo er in einer Schokoladenfabrik
Arbeit fand. Nach Jahren kam der Brief von La Fran, die ihn zur Hochzeit
einlud, der er Folge leistete. Die Jukebox in der Osteria vermittelte
in allen Lebenslagen eine fröhlich tröstliche Stimmung, wenn
bei Neri die Totengesichter aufflackerten und er ein Gefühl von Ewigkeit
verspürte.
Autor Vincenzo Todisco, Rhäzüns
Der neue Roman führt uns in die Lebensgemeinschaft eines italienischen
Dorfes. Es sind eigene Erinnerungsspuren von Vincenzo Todisco, die dorthin
führen. Er hat in seiner Kindheit noch die Tradition des Erzählens
erlebt und führt sie in seinen Romanen weiter. Mit der Hauptfigur
des jungen Geschichtenabnehmers konnte er eine Fülle von Geschichten
zu Papier bringen. Erfindung und Wahrheit verbinden sich im fliessenden
Erzählen. Dunkle Vergangenheit, Spuren des Krieges, Folgen von verschmähter
Liebe tauchen auf. In bildreicher Sprache erfährt man etwas über
die Zerrissenheit beim Ortswechsel. Gruma ist ein Sehnsuchtsort im Kopf.
Die Migrationserfahrungen der Eltern von Vincenzo Todisco sind spürbar.
Es ist sein erster Roman, den er in Deutsch geschrieben hat. Todisco wird
diesen auch noch selber in Italienisch schreiben. Beim Roman «Eidechsenkind»
war es umgekehrt. Der Autor beherrscht beide Sprachen und weitere dazu.
Die Fülle des prallvollen Lebens erlebt der Autor, Vater und Grossvater
Vincenzo Todisco mit seiner Frau in der eigenen Familie, wo die sieben
Kinder, jetzt als Erwachsene, kommen und gehen. Geburt und Tod sind ihm
nahe. Ein Hauch von Ewigkeit begleitet ihn durch die Vielschichtigkeit
seines Lebens. – Der Buchautor ist als Sohn italienischer Einwanderer
1964 in der Schweiz geboren. Er studierte Romanistik, doktorierte in italienischer
Sprachwissenschaft und ist Dozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter an
der Pädagogischen Hochschule Graubünden. Er hat eine Sonderprofessur
für integrierte Mehrsprachigkeitsdidaktik und ist in Lehr-, Forschungs-
und Publikation tätig. Seine Hobbys sind Lesen, Schreiben, Wandern,
Musik und Fussball.
Vincenzo Todisco, Der Geschichtenabnehmer, Atlantis Verlag, 252 S. Fr.
33.90
Elisabeth Bardill
Tenna, den 24. Oktober 2024
Marco
Frigg, Adidas und Zoccholi
Orte Verlag Fr. 34.00
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Eine
Kindheit in Chur und im Veltliner Dorf Valle
Adidas und Zoccoli. Der Autor Marco Frigg schrieb sein viertes Buch in
der Ich-Form.
Die Erzählung beruht auf den Erinnerungen des Verfassers im Zeitraum
der 1960er Jahre. Namen wurden geändert, Zeitspannen verdichtet,
Erinnerungslücken mit einer Prise Fantasie gefüllt. Eine berührende
Wirkung haben die trefflichen Beschreibungen von Stimmungen und Seelenzuständen
eines Schulbuben. Sein Zuhause in Chur unterschied sich vom Land seiner
Mutter, dem Veltlin, wo die Churer Familie während der Sommerferien
lebte. Tschinggeli rief man dem Buben in Chur nach, in Valle hatte er
als Zücchin eine Sonderstellung. «Ich fühlte mich hin-
und hergerissen zwischen meinen zwei Lebenswelten. Auch dieses Jahr hatten
mir die Rückkehr aus den Sommerferien und die Gedanken an den Schulbeginn
arg zu schaffen gemacht.» Über Bubenträume und -streiche,
vom Stehlen, Lügen oder Hantieren mit Feuer und Pulver mit anschliessenden
Gewissensbissen erfährt man Einiges. Das weckt Erinnerungen an die
eigene Kindheit. Dörfliche Feste mit Musik, Tanz und geheimnisvoller
Hinneigung zu Mädchen bedeuteten Höhepunkte im dörflichen
Alltag. Tod und Trauer gehörten dazu. Adidas und Zoccoli stehen für
die kulturellen Unterschiede, die es damals zwischen Stadt und Land gab.
Primo trug Zoccholi an den Füssen, der Ferienbub Adidas Turnschuhe.
Der gesellschaftliche Wandel war in Gang, warf Fragen auf und schürte
ein wachsendes Interesse an der bewegten Vergangenheit während des
Zweiten Weltkrieges. Der Erzähler machte sich schon früh Gedanken
über sein behütetes Leben in der Stadt Chur und das entbehrungsreiche
Landleben jenseits der Grenze. Die Passfahrten hin und her im Auto hatten
ihm Entscheidungen abverlangt für den Berufsweg und die Liebe. War
es dann Rita oder Daniela?
Marco Frigg, 1951 geboren und aufgewachsen in Chur, war kaufmännischer
Angestellter und bildete sich zum Primarlehrer weiter. Er unterrichtete
von 1975 bis 2016 an der Gemeindeschule Cazis, wo er auch lebt. Er ist
verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Kindern. «Ich speicherte
am Computer über Wochen und Monate hinweg einen kunterbunten Episodenmix
aus der Zeit, in welchem Träume in den Himmel wuchsen und der Fantasie
kaum Grenzen gesetzt waren.» Entstanden ist eine herzerwärmende
Erzählung mit regional historischen Bezügen.
Empfohlen von Elisabeth Bardill
Tenna, den 18. September 2024
Regula
Caviezel, Am Fels
Antium Verlag Fr. 39.50
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Am Fels
Regula Caviezel schreibt nach Vorstellungen, Gleichnissen, Erfahrungen,
Träumen, Gedanken, Wahrnehmungen und nach Begebenheiten im realen
Leben. Sie stellt die zugezogenen Leute den Einheimischen im Bündner
Bergdorf gegenüber. Bei der Lektüre beginnt man zu ahnen, wo
das Dorf liegt, bei welcher Felswand, in welchem Grasland. Die Fantasie
kennt bei Regula Caviezel keine Grenzen. Sie lässt die Leserschaft
teilhaben mit der Natur und mit den Menschen. Wenn das dörfliche
Leben zu eng wird, werden einzelne Menschen Aussenseiter. Deren aussergewöhnliche
Lebensformen werden belächelt oder lassen gar Urängste und Aberglaube
aufkommen. In den beiden Geschichten kommt der untergründige Kampf
mit der Sexualität zum Ausdruck. Firlefanz, der Dorfnarr, macht seine
Stube hinter zugezogenen Vorhängen mit selbergemachten Figuren zum
Schauplatz des Dorflebens. Die Elementarkraft der Liebe holt ihn ein.
Eine fremde Frau hat sich in einer entlegenen Hütte ihr Zuhause eingerichtet.
– Die Flucht von Jakob in die Felsen am Berg und die verzweifelte
Suche nach ihm von seiner Ehefrau Aline ist herzbewegend. Das altbekannte
langandauernde Auseinanderleben ist immer ein Einzelfall. «Einmal
wird es das letzte Mal sein, dass die Frau hinaus ins Grasland wandert,
sie wird wissen, wann der Zeitpunkt gekommen ist. Wenn der Herzschlag
verrückt spielt, dann wird sie es wissen und mit ihren kleinen Trippelschritten
gehen. Wenn nur die Angst nicht wäre, das Ziel zu spät zu erreichen
oder es auf der weit ausgedehnten Grasfläche nicht zu finden.»
Die Autorin Regula Caviezel kam 1951 im Kanton Thurgau als Bauernkind
zur Welt. Seit gut 50 Jahren lebt sie als Bergbäuerin in einem kleinen
Bündner Bergdorf. Sie fand spät zum Schreiben. Sie hat die Begabung,
mit unbewussten Kräften umzugehen, diese ernst zu nehmen. In ihren
Erzählungen wirkt die Dunkelheit des Unbewussten in die Wirklichkeit
der lichtdurchfluteten Tage hinein. Regula Caviezels tiefe Verbundenheit
mit der Natur offenbart sich in ihren ausführlichen Beschreibungen
der Felsen und des Wiesen- oder Graslandes der Region, in der sie lebt
und schreibt.
Empfohlen von Elisabeth Bardill
Tenna, den 20. Oktober 2024
Elisabeth Bardill
Elisabeth Bardill-Meyer kam 1941 im aargauischen Auenstein zur
Welt und wuchs danach in Küsnacht am Zürichsee auf. Nach der
Ausbildung zur Kindergärtnerin an der Neuen Mädchenschule Bern
war sie in Bubendorf BL tätig. Nach der Heirat mit einem Bündner
Lehrer zog sie nach Tenna ins Safiental und später nach Schiers.
Sie hat vier Söhne und fünfzehn Enkel. Während vieler Jahre
unterrichtete sie im Bildungszentrum Palottis Schiers in den Fächern
Erziehungslehre, Werken und Gestalten. Seit 2004 lebt Elisabeth Bardill
mit ihrem Mann wieder in Tenna. Sie arbeitet freischaffend journalistisch
für Zeitschriften, Zeitungen wie auch regelmässig für die
„Terra Grischuna“, schreibt Bücher und gibt diese selber
unter „edition bardill“ heraus. Es handelt sich stets um Porträts
von Menschen in Graubünden.
Elisabeth Bardill, Männer und Frauen verwurzelt
in Graubünden
Edition Bardill
Fr. 30.00
bitte
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Elisabeth Bardill, Bauernstolz und Bauerntum
Edition Bardill, 2008 Fr. 35.00 bitte mit Mail bestellen
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